Die Zukunft der Kirchen: Leere Bänke beim Gottesdienst. Foto: dpa

Wie wird die religiöse Landkarte Deutschlands aussehen? Welche Bedeutung werden Glaube und Unglaube haben? Kehren die Götter zurück oder siechen die Religionen dahin? Um diese und andere Fragen geht es in unserer 15-teiligen Serie „Religion und Glaube 2050“.

Stuttgart - Die Kirchenbindung in Deutschland wird bis 2050 stetig abnehmen. Im Jahr 2014 erreichten die Kirchenaustritte einen neuen Rekordstand: 217 716 Menschen verließen die Katholische Kirche - so viele wie noch nie in einem Jahr. Bei den Protestanten ist die Lage noch düsterer.

Keine Kehrtwende beim Kirchenbesuch

Auch beim Kirchenbesuch sieht es nicht viel besser aus: Zwischen zwei bis fünf Prozent der Protestanten sowie zehn bis 20 Prozent der Katholiken besuchen Sonntags regelmäßig einen Gottesdienst. In Westfalen und Niederbayern mögen die Zahlen höher sein, ebenso bei den Freikirchen, wo die Bindung des Einzelnen an die Gemeinde generell enger ist als in den evangelischen Landeskirchen. Aber der allgemeine Trend ist eindeutig.

Religiöse Statistik

Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind derzeit knapp zwei Drittel der rund 82 Millionen Bundesbürger Christen:

Römisch-katholische Kirche: knapp 24 Millionen

Evangelische Kirche: rund 23 Millionen

Evangelische Freikirchen: knapp 300 000

Orthodoxe Kirchen: 1,7 Millionen

Andere christliche Gemeinschaften: rund 500 000

Muslime: mehr als vier Millionen

Jüdische Gemeinden: rund 100 000

Konfessionslose: rund 32 Millionen

Der Glaube verdunstet – und mit ihr die Kirche

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die Standfesten bleiben und nur die „Karteileichen“ gehen werden. Es gibt kein „Gesundschrumpfen“, die Spreu trennt sich nicht vom Weizen. Stattdessen ist es so, wie der katholische Theologe Karl Rahner (1904-1984) einmal prophezeite: Der Glaube verdunstet – und mit ihm die Kirche.

Bleiben die Austrittszahlen auf einem ähnlich hohen Niveau wie heute werden 2050 voraussichtlich deutlich weniger als 40 Prozent der Bevölkerung noch bekennendes Mitglied der evangelischen und katholischen Kirche sein. Auch die Zahl der in den Gemeinden Aktiven wird deutlich sinken.

Glaubens- und Traditionskrise

Nicht nur, dass die Botschaft des Evangeliums von immer weniger Menschen geglaubt wird – sie ist ihnen auch gar nicht mehr bekannt. Die Glaubens- und Kirchenkrise, sie ist im Kern eine religiöse Bildungs- und Traditionskrise. Das Wissen um den Glauben wird sich in einem atemberaubenden Tempo verflüchtigen – bei vielen bis zur Bedeutungslosigkeit. Was bei älteren Generationen noch lebendig vorhanden ist, wird sich bei Jüngeren ins pseudo-religiöse Nirwana auflösen und bis Unkenntlichkeit verflüchtigen.

Sehnsucht nach Gott?

Dass manche Theologen einen spirituellen Aufbruch und eine neue Gottsuche ausmachen, ist mehr herbeigewünscht als real existent. Die inhaltliche Auszehrung hat längst alle Bereiche des kirchlich-konfessionellen Lebens erfasst. Vor allem die beiden wichtigsten Sozialisationsinstanzen des Glaubens, Familie und Pfarrei, fallen zunehmend aus. Die Weitergabe des Glaubens und die (Neu)-Evangelisation Deutschlands wird das zusätzlich erschweren.

Weniger sind nicht mehr

Weniger sind mehr. So könnte man das Motto der Propagandisten einer Kernkirche umschreiben. Papst Benedikt XVI. setzte während seiner aktiven Amtszeit (April 2005 bis Februar 2013) auf die Attraktivität dieser kleinen Herde. Dogmen- und Kirchentreue und ein konsequent gelebter Glaube sollen nach dieser Expertise die katholische Kirche revitalisieren und attraktiver machen.

„Small-is-beautiful“: Nach dieser These bewirkt der Schrumpfungsprozess, dass die Eifrigen und Überzeugten bleiben und den Laden wieder flott machen. Doch klein ist keineswegs gleich schön. Stattdessen ist das Gegenteil eingetreten: Die Mitgliederzahlen sinken und die Akzeptanz der kirchlichen Lehren schwindet auch bei überzeugten Christen und Kirchgängern.

Trend geht zur kleinen Herde

Der Trend zur kleinen Herde wird sich fortsetzen. Schon deshalb, weil die Zahl der Kirchenmitglieder, Gottesdienstbesucher und in den Gemeinden Aktiven kontinuierlich abnehmen wird und sich auf einem hohen Niveau einpendeln werden. Kleiner ist nicht schöner, aber unausweichlich.

Unsere Serie: Religion und Glaube 2050

Teil 1: Trend 2050 – Religion, Glaube, Spiritualität

Teil 2: Trend 2050 – Globaler Glaube und Unglaube

Teil 3: Trend 2050 – Der Glaube der Ungläubigen

Teil 4: Trend 2050 – Säkularisierter Glaube

Teil 5: Trend 2050 – Individualisierter Glaube

Teil 6: Trend 2050 – Kirchlicher Glaube

Teil 7: Trend 2050 – Karitativ-diakonischer Glaube

Teil 8: Trend 2050 – Patchwork-Religiosität

Teil 9: Trend 2050 – Pseudo-religiöse Konsumtrends

Teil 10: Trend 2050 – Sanfter Glaube

Teil 11: Trend 2050 – Auf Sinnsuche bei Glaubenden

Teil 12: Trend 2050 – Fundamentalistischer Glaube

Teil 13: Trend 2050 – Fernöstliche Erleuchtung

Teil 14: Trend 2050 – Muslimische Parallelwelten

Abschluss: Religion und Glaube 2050 in 14 Thesen