Nahtod-Erlebnis: „Der Tod: Flug in Richtung des Lichts“, Gemälde von Stefan von Jankovich. Foto: Drei-Eichen-Verlag

Wie wird die religiöse Landkarte Deutschlands aussehen? Welche Bedeutung werden Glaube und Unglaube haben? Kehren die Götter zurück oder siechen die Religionen dahin? Um diese und andere Fragen geht es in unserer 15-teiligen Serie „Religion und Glaube 2050“.

Stuttgart - Der Trend von der institutionellen Religion über die schleichende Distanzierung zur bekennenden Säkularität wird sich bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts fortsetzen. Die Zahl der kirchlichen Gläubigen wird weiter schrumpfen. Bevor Nichtreligiöse und Konfessionslose indes die Mehrheit bilden, wird die Zahl der distanzierten Christen, für die Religion kaum noch eine Rolle in ihrem Leben spielt, beständig wachsen.

„Fuzzy fidelity“ – Unscharfer Glaube

Der britische Bevölkerungswissenschaftler David Voas vom Institute for Social Change der University of Manchester bezeichnet diesen Trend zu einem laxen, gesellschaftlich unverbindlichen und nebulösen Glaubensverständnis in einer Studie als „Fuzzy fidelity“ -unscharfer, konturloser Glaube. David Voas zufolge sinkt in Europa und Deutschland (mit regionalen Unterschieden) der Hang zum religiösen Bekenntnis von Generation zu Generation. Die Glaubensüberzeugungen erodieren, das Wissen um die Traditionen schwindet, der Glaube verliert an Bindungskraft.

Die Deutschen werden auch 2050 keine bekennenden Atheisten oder militanten Religionsgegner sein, sondern mehrheitlich lauwarme und halbherzige Christen, die irgendetwas für wahr halten. Von einer gelebten, bekennenden und sozial engagierten Religiosität werden sich allerdings noch viel mehr als heute verabschiedet haben – selbst wenn sie eingeschriebene Kirchenmitglieder bleiben sollten.

„Glaube Light“

Der Trend geht eindeutig zur religiösen Individualisierung und Popularisierung von Glaube und Spiritualität – zum „Glauben Light“. Dass es eine religiöse Sehnsucht und eine Suche nach Gott gibt, ist unbestritten. Doch ist diese Sehnsucht mehr Ausdruck einer vagen, individualistisch geprägten Gefühlsreligion als eines klaren Bekenntnisses zu einer bestimmten religiösen Überlieferung.

An den Kirchen geht diese Entwicklung weitgehend vorbei, wie die beiden Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta in ihrer Studie „Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich“ (Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2015, 39,90 Euro) herausgefunden haben. Auch wenn eine Mehrheit der Bürger meint, ohne kirchliche Gemeinschaft gläubig sein zu können, ließe sich das statistisch nicht nachweisen. „Nur wenige leben den christlichen Glauben ohne kirchliche Institution und Gemeinschaft.“

Wiederentdeckung der Religion?

Aber auch das stimmt: Immer mehr Menschen erhoffen sich von der Religion Halt und Zuspruch angesichts des rasanten Wandels in der Welt. „Lange Zeit wurde geglaubt, dass Religion sich irgendwann auflösen würde“, sagt der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz. „Tatsächlich gibt es aber eine Wiederentdeckung der Religion – auch in Deutschland.“ Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf aus München fügt hinzu: „In Zeiten schneller politischer wie sozialer Veränderungen gewinnen religiöse Lebensentwürfe hohe Faszinationskraft.“

Spiritueller Wanderer

Mit einem klaren kirchlich verfassten, gemeinschaftlich gelebten, kultisch exemplifizierten, praktisch konkretisierten und sozial engagierten Glauben hat diese profanisierte Religiosität jedoch nur wenig zu tun. Ihr Protagonist ist der „spirituelle Wanderer“ (so nennt ihn der Bayreuther Religionswissenschaftler Christoph Bochinger), der mit religiösen Traditionen recht locker umgeht. „Man fühlt sich nicht einmal als Suchender, sondern man fühlt sich eher als Finder, als jemand, der zusammenzieht, was jetzt für sein persönliches Leben im Moment wichtig ist.“

Patchwork-Religiosität

Glauben heute: Das ist nach Ansicht des katholischen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg „eine Art Patchwork-Identität. Der Glaube nährt sich aus Versatzstücken, die jeder für sich zusammensetzt. Dass der Glaube auch ein geprägter und bestimmter Glaube ist, der auch eine kirchliche und gemeinschaftliche Identität aufweist, das verdunstet immer mehr“.

Schockenhoffs Zustandsbeschreibung lässt sich relativ bruchlos auf das Jahr 2050 übertragen. Die fortschreitende Digitalisierung der Welt wird das unüberschaubare Angebot an Wissen, News und Sinnentwürfen epidemisch anwachsen lassen. Das wird den Trend zum religiösen Synkretismus und zur spirituellen Bastelmentalität massiv verstärken.

Religion 2050: Gemixt und vermengt, geschüttelt und gerührt

Gemäß dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt, gut tut und trendy ist, wird in der postmodernen Religion alles munter gemixt und vermengt, geschüttelt und gerührt. Die Grenzen zwischen Sakralem und Profanem, Tradition und Selbstfabrizierten verschwimmen vollends.

Unsere Serie: Religion und Glaube 2050

Teil 1: Trend 2050 – Religion, Glaube, Spiritualität

Teil 2: Trend 2050 – Globaler Glaube und Unglaube

Teil 3: Trend 2050 – Der Glaube der Ungläubigen

Teil 4: Trend 2050 – Säkularisierter Glaube

Teil 5: Trend 2050 – Individualisierter Glaube

Teil 6: Trend 2050 – Kirchlicher Glaube

Teil 7: Trend 2050 – Karitativ-diakonischer Glaube

Teil 8: Trend 2050 – Patchwork-Religiosität

Teil 9: Trend 2050 – Pseudo-religiöse Konsumtrends

Teil 10: Trend 2050 – Sanfter Glaube

Teil 11: Trend 2050 – Auf Sinnsuche bei Glaubenden

Teil 12: Trend 2050 – Fundamentalistischer Glaube

Teil 13: Trend 2050 – Fernöstliche Erleuchtung

Teil 14: Trend 2050 – Muslimische Parallelwelten

Abschluss: Religion und Glaube 2050 in 14 Thesen