Ein Flüchtling schaut in Berlin bei Temperaturen um den Gefrierpunkt aus einem Zelt. Foto: dpa

Bis zu 100 000 Flüchtlinge kommen bis Ende des Jahres nach Baden-Württemberg. Ihnen allen ein Dach über den Kopf zu geben, ist ein Kraftakt, vielen von ihnen eine neue Heimat zu geben ein noch größerer.

Stuttgart - In unmittelbarer Nachbarschaft, direkt auf der anderen Straßenseite, wird demnächst in einem Stadtteil der Region eine Flüchtlingsunterkunft gebaut. Vor allem Männer werden hier untergebracht werden. Von 140 bis 150 Personen ist die Rede. Das Areal, auf dem die Holzhäuser aufgestellt werden, ist eine Obstwiese, auf der bisher noch Kinder spielen. Das sei beschlossene Sache, sagt ein Vertreter der Stadt. Die Bewohner des Wohnviertels, vor allem junge Familien mit kleinen Kindern, fühlen sich übergangen. Niemand habe sie gefragt. Die Stadt und der Landkreis hätten sie vor vollendete Tatsachen gestellt, heißt es bei einem eilig anberaumten Bürgertreffen.

Außergewöhnliche Zeiten

Vielen in Deutschland ergeht es genauso. Sie erfahren aus dem Amtsblatt oder der Zeitung, dass Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft einziehen. Die meisten heißen sie willkommen und versuchen mit ihnen gemeinsam die neue Lebenssituation zu meistern. In diesen außergewöhnlichen, chaotisch-hektischen Zeiten.

Von den Älteren kann man erfahren, wie sie Flucht und Vertreibung erlebten. Die Erinnerung an den Krieg und die harten Jahre danach sind bei vielen noch lebendig. Sie verstehen noch am ehesten, was es bedeutet, seine Heimat zu verlieren, sein bisheriges Leben aufgeben zu müssen, ganz neu anzufangen, ohne zu wissen, was wird.

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind mehr als 60 Millionen Menschen innerhalb und außerhalb der eigenen Landesgrenzen auf der Flucht. Allein fast vier Millionen Syrer sind vor den Wirren des Krieges ins Ausland geflohen, 1,7 Millionen allein in die Türkei. Die meisten Flüchtlinge leben im Land selbst. Schätzungen des UNHCR zufolge haben sechs, sieben Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen, um in anderen Landesteilen Zuflucht zu finden. Mehr als die Hälfte sind Kinder.

Auf gute Nachbarschaft

Wie viel Schutz von Flüchtlingen ist möglich, ohne die Hilfsbereitschaft in den Aufnahmeländern zu überstrapazieren? Wie viele Schutzsuchende können Europa und Deutschland verkraften, ohne das die Stimmung in der Bevölkerung umschlägt? Auf die große und kleine Politik hat der einzelne Bürger derzeit wenig Einfluss – noch weniger als in ruhigeren Tagen. Doch wie die Flüchtlinge empfangen werden und wie man ihnen zusammenlebt, kann jeder selbst entscheiden.

Im besagten Stadtteil haben sich die meisten entscheiden: Sie wollen auch den Neuankömmlingen gute Nachbarn sein.