Papst-Besuch im Flüchtlingslager: Franziskus begrüßt am 16. April Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos. Foto: KNA

Es sind schwierige Zeiten für Europa. Es braucht Mut und Mutmacher. Für seine mutmachenden Worte und seine besonderen Verdienste um Europa ist Franziskus mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden. Die Europäer hat er wieder zu mehr Solidarität in der Flüchtlingskrise aufgefordert. Der Papst und die Politik – ein schwieriges Thema.

Stuttgart - Ein Papst, der sich für Ausgegrenzte, Gestrandete und Verfolgte einsetzt. Das ist selbstverständlich. Eine Ethik der Brüderlichkeit und Mitmenschlichkeit gehört zum Anforderungsprofil jedes Amtsinhabers. Päpste können in ihrem Pontifikat individuelle theologische und kirchliche Schwerpunkte setzen und persönliche Duftmarken versprühen. Die Grenzen des dogmatisch Erlaubten und kirchenpolitisch Machtbaren sind allerdings engmaschig. Deshalb nutzen Päpste vor allem die Macht der Gesten und Worte, um Kirche und Welt ihre Gedanken und Visionen mitzuteilen.

Gesten und Worte – die Waffen des Papstes

Johannes XXIII. tat dies mit liebenswürdiger Volkstümlichkeit, Paul VI. mit asketischer Würde, Johannes Paul II. mit energiegeladenem Charisma, Benedikt XVI. mit tiefschürfender Intellektualität. Und Franziskus? Der Papst aus Argentinien bevorzugt Bonmots, Anekdoten und Spontanität. Vor allem ruft der Träger des diesjährigen Internationalen Karlspreises den Europäern immer wieder ihre humanitäre Pflicht in Erinnerung: Herzen, Köpfe und Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen.

Ein solcher Appell ist das, was die Welt von einem Papst – dem „Stellvertreter Christi auf Erden“ – erwartet. Der Aufruf zu Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität ist fester Bestandteil päpstlicher Verkündigungsrhetorik. Der Aufschrei des Entsetzens wäre groß, würde ausgerechnet der Papst wie ein Realpolitiker agieren und reden?

Ideal und Realität

Realpolitiker sind ständig damit beschäftigt, die Forderungen nach dem Bestmöglichen und die Grenzen des Machbaren, Ideal und Realität auszutarieren. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik bedeutet dies: uneingeschränktes Asylrecht für die Schwächsten; uneingeschränkte Kontrolle, dass keine „Bösewichte“ durch die Kontrollen schlupfen; uneingeschränkte Hilfe für alle, die aufgenommen werden, damit sie in der Fremde eine neue Heimat finden.

Realpolitiker wissen auch um die Notwendigkeit von Grenzen und Begrenzungen. Selbst beim besten Willen und bei größtmöglicher Solidarität ist die Zahl der Aufgenommenen und die Solidarität der Aufnehmenden nicht unbegrenzt.

Enormes Engagement der Kirchen

Vor allem die Kirchen in Deutschland leisten in der Flüchtlingsarbeit Enormes. Ohne das ehrenamtliche Engagement von Christen genauso wie Nichtchristen wäre jede Integration zum Scheitern verurteilt. Und dennoch ist die Frage legitim, ob ein Papst über Appelle und Gesten hinaus noch mehr leisten kann und soll.

Als oberster Hirte der Universalkirche mit voller und höchster Jurisdiktionsgewalt, wie es offiziell heißt (als oberster Gesetzgeber) könnte der Papst beispielsweise öffentlich anordnen, die Tore der Klöster und kirchlichen Häuser in Europa und weltweit für Schutzsuchende zu öffnen. Und zwar so weit zu öffnen , dass dieser Akt nicht nur eine Geste wäre, sondern bis an die Grenzen der Belastbarkeit der Weltkirche gehen würde.

Der Papst „in den Schuhen des Fischers“

Eine abstruse, weil unrealistische und radikale Idee? Genauso radikal hat ein Papst gehandelt – wenn auch nur ein fiktiver. In dem US-Filmdrama „In den Schuhen des Fischers“ (nach dem gleichnamigen Roman von Morris L. West) aus dem Jahr 1968 mimt Antony Quinn den ehemaligen Erzbischof von Lemberg, Kiril Lakota, der nach 20 Jahren Zwangsarbeit aus dem sowjetischen Gulag in Sibirien entlassen wird.

Dieser großartige Film spielt in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, die Welt steht kurz vor einem neuen Weltkrieg. In Rom angekommen wird Kiril Lakota von Pius XIII. empfangen und zum Kardinal ernannt. Nach dessen Tod wird er selbst zum Pontifex gewählt und nennt sich nach dem Apostel der Slawen, Kyrill.

Was wäre, wenn der Papst das Vermögen der Kirche für die Armen gibt?

Um eine Hungersnot in China zu verhindern und den Weltfrieden zu retten, tut er das Undenkbare. Bei seiner Amtseinführung findet in Rom die traditionelle Krönung des Papstes statt. Kyrill nimmt die Tiara, die Papstkrone, wieder ab und gibt seinen Entschluss bekannt, das Vermögen der Kirche für die Armen und Hungrigen zu geben.

Die damalige Filmbewertungsstelle in Wiesbaden verlieh dem Hollywood-Streifen das Prädikat „wertvoll“. Die Produktion ist – wie es sich für einen echten Hollywood-Film gehört – klischeehaft, pathetisch überladen und unrealistisch. Aber wäre ein solcher Papst in der Realität nicht bewundernswert? Und wäre eine solche radikale Tat in der Realität der christlichen Botschaft nicht angemessen?