Pfarrer Maurer räumt 2020 sein Büro im Pfarramt der Erlöserkirche. Foto: Eva Funke

Jochen Maurer, der Geschäftsführende Pfarrer der Nordgemeinde, stellt sich neuen Herausforderungen und verlässt nach sechs Jahren seine Gemeinde.

Stuttgart-Nord - Im Büro des Pfarramts der Erlöserkirche hängt eine Lithografie von Marc Chagall: Aaron vor einem siebenarmigen jüdischen Kerzenleuchter. Das Bild hängt dort, seit Pfarrer Jochen Maurer vor sechs Jahren das Amt des Geschäftsführenden Pfarrers der evangelischen Nordgemeinde Stuttgart übernommen hat. Vielleicht schon ein Fingerzeig darauf, welchen Weg Gott dem Pfarrer jetzt weist: Maurer wird die Gemeinde verlassen und zum April das Sonderpfarramt für christlich-jüdische Gespräche in der württembergischen Landeskirche übernehmen.

Dass er sich auf dieses Amt beworben hat, habe nichts damit zu tun, das sein Start in der Gemeinde holprig war. Als Pfarrer an der Erlöserkirche und Geschäftsführender Pfarrer der Nordgemeinde ist er damals in die Fußstapfen von Monika Renninger getreten, die Leiterin des evangelischen Bildungswerks Hospitalhof wurde. Renninger war sehr beliebt. „Da gab es bei vielen Abschiedsschmerz“ erinnert sich Maurer. Und große Skepsis, ob er den Anforderungen der Gemeinde gewachsen ist. „Es wurde sehr kritisch geguckt, wie ich meine Aufgaben bewältige und ob ich Absprachen einhalte. Manche sind nicht mehr in die Gottesdienste gekommen“, sagt er. Trotz des anfänglichen Misstrauens hat er den Wechsel aus der Region in die Landeshauptstadt nie bereut. An Schwierigkeiten wächst man schließlich. Und seit etwa anderthalb Jahren, sagt er, sei er in seiner Gemeinde „angekommen“. Und: „Ich bin gern Gemeindepfarrer.“

Die Frage war: Willst Du oder willst Du nicht?

Dazu beigetragen haben die Kollegen von der Martins- und Brenzkirche, die mit der Erlöserkirche die Nordgemeinde bilden, und der Kirchengemeinderat. „Unser Austausch war immer sachlich und kollegial“, resümiert Maurer. Das Spannende in seiner Gemeinde, das war die Vielfalt an religiösen und sozialen Hintergründen. Eine Chance von Kirche in der Großstadt sieht er auch darin, dass sich die Menschen bei der Vielzahl von kirchlichen Angeboten das für sich passende heraussuchen können. „Die Menschen sind bei ihren Gottesdienstbesuchen nicht auf die Gemeinde festgelegt, in der sie leben.“

Stolz ist Maurer vor allem aber auf die Jugendarbeit in seiner Gemeinde: „Dazu haben Diakon und Jugendreferentin viel beigetragen: Durch die Konfirmanden-Camps hat sich ein toller Zusammenhalt entwickelt. Und viele der ehemaligen Konfirmanden wachsen jetzt in die Leitung von Jugendgruppen rein.“ Immerhin treffen sich im Gemeindehaus alle 14 Tage bis zu 40 Jugendliche und machen bei Traineeprogrammen mit.

In Maurers Amtszeit fallen unter anderem aber auch die Vorbereitungen für Sanierung und Umbau der Martinskirche. „Ich bin zwar nicht der Bauherr, gehöre aber zu den Nutzern und war als solcher mit meinen Vorstellungen und Interessen in die Planung einbezogen“, sagt er. Der Baustart zum Umbau sollte schon passiert sein. Maurer: „Ich geh’ davon aus, dass es im Frühjahr tatsächlich los geht.“

Doch warum gerade jetzt, wo er in seiner Gemeinde „angekommen“ ist und alles rund laufen könnte, der Wechsel auf die Sonderpfarrstelle? Die Beziehungen der Kirche zu jüdischer Geschichte, Theologie und jüdischem Leben haben Maurer von je her interessiert. Und sein großes Anliegen ist es, den Erscheinungsformen des Antisemitismus entgegenzutreten. Außerdem läuft die Zeit: Er ist 53 und die Sonderpfarrstelle auf zehn Jahre befristet. „Die Frage war, willst du oder willst du nicht?“ Und er wollte, denn mit 63 wäre der Zug abgefahren.

In Stuttgart wird Pfarrer Jochen Maurer vermutlich bleiben: Der Sitz für die Sonderpfarrstelle soll von Bad Boll in die Landeshauptstadt verlegt werden. Und die Herausforderungen für seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin: Von den 20 000 Neubürgern im Rosensteinareal dürften etwa 4000 evangelisch sein. Damit wächst die Nordgemeinde um fast das Doppelte.