Kira Weidle gewann bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften 2021 in der Abfahrt die Silbermedaille – ihr größter Erfolg bisher. Foto: imago//Patrick Steiner

Die deutsche Skirennläuferin Kira Weidle spricht über Erwartungshaltungen, die Nachwuchssorgen im alpinen Skisport – und ihre Rolle als Einzelkämpferin.

Stuttgart - In Lenzerheide wird von Mittwoch an das Weltcupfinale im alpinen Skisport ausgetragen. Die WM-Silbermedaillengewinnerin Kira Weidle blickt auch schon darüber hinaus: „Das Ziel, auch bei Olympia auf dem Podest zu stehen, motiviert mich natürlich schon jetzt.“

Frau Weidle, Sie sind in Stuttgart geboren, lebten mal in Nordrhein-Westfalen, seit Langem ist nun Starnberg Ihre Heimat – wurden Sie nach dem Gewinn der WM-Silbermedaille in der Abfahrt gleich dreifach vereinnahmt?

Auf jeden Fall. Erst waren es die nationalen Medien, die berichtet haben, dann natürlich die bayerischen. Dazu kamen die Anfragen aus dem Stuttgarter Raum – und auch Zeitungen aus Nordrhein-Westfalen haben sich gemeldet. Obwohl ich da als Kind ja nicht einmal zwei Jahre gelebt habe.

Anders als in Stuttgart.

Genau. Hier habe ich die ersten vier Jahre meines Lebens verbracht – und außer mir, meinen Eltern und meinem Bruder lebt die ganze Familie auch noch in Stuttgart und der Region.

Das beschriebene Programm im Anschluss an Ihre Silberfahrt klingt durchaus anstrengend – konnten Sie dennoch schon zur Ruhe kommen und den Erfolg wirken lassen?

So langsam ist ein wenig Ruhe eingekehrt, und ich konnte das Erreichte auch genießen, aber zu Beginn war es schon stressig. Es ist zwar schön, nach solch einem Erfolg im Mittelpunkt zu stehen. Da die Saison ja aber noch nicht zu Ende ist, musste ich auch schauen, dass ich alles unter einen Hut bekomme.

Ist die Vorfreude auf die Zeit nach Saisonende also besonders groß?

Absolut. Ich freue mich darauf, in Ruhe auf diesen Winter zurückzublicken. Gerade am Ende lief es ja schon recht ordentlich.

Sie sagten nach WM-Silber in der Abfahrt, nun hätten Sie es auf dem Papier stehen, dass Sie schnell Skifahren könnten. Wie wichtig war Ihnen diese Bestätigung?

Ich konnte nach einer durchwachsenen ersten Saisonhälfte auf den Punkt abliefern. Das zeigt mir: Der ganze Weg, die ganzen Jahre – all das war richtig und hat sich ausgezahlt. Ich bin in den vergangenen zwei Jahren meinen eigenen Erwartungen und meinem Können oft hinterhergehinkt. Dazu kam die Tatsache, dass sich nach dem Rücktritt von Viktoria Rebensburg alle Erwartungen auf mich fokussiert haben. Umso schöner ist es, dass ich im richtigen Moment voll da sein konnte.

Diese Rolle als Einzelkämpferin – schwierig oder schön, weil einem ja auch die volle Aufmerksamkeit der Trainer sicher ist?

Es ist tatsächlich zwiegespalten. Einerseits hatte ich ein ganzes Betreuerteam fast für mich alleine. Andererseits entsteht durch dieses Privileg das Gefühl, zeigen zu müssen, dass man sich das auch verdient hat. Und ich wusste: Es liegt allein an mir, ob ein gutes deutsches Ergebnis dasteht oder nicht. Da fährt der Druck schon immer mit, das war zu Saisonbeginn nicht immer einfach.

Aber ...

... ich denke, dass ich im Laufe der Saison in diese neue Rolle hineingewachsen bin. Ich habe mir gesagt, dass ich am Ende ja so oder so nicht für die Öffentlichkeit oder den Verband fahre – sondern für mich. Und dann ist es auch zweitrangig, ob man als einzige deutsche Läuferin am Start steht oder nicht.

Trotzdem sind die Nachwuchssorgen gerade im alpinen Skisport ein großer Diskussionspunkt. Wer es nach oben schaffen will, muss schon im Kindesalter einen immensen Aufwand betreiben, viel reisen, viel Zeit und Geld investieren – ist dies das Hauptproblem?

Natürlich werden wir aus diesen Gründen nie die Masse an Skitalenten haben wie zum Beispiel Österreich. Das liegt allein an der Topografie, in Deutschland haben nur wenige Kinder einen Skihang vor der Haustür. Und das werden wir logischerweise auch nicht ändern können. Man muss also mit dem Nachwuchs, den man hat, richtig gut arbeiten. Motivieren, den Spaß am Sport vermitteln, vielleicht auch mal ein bisschen weggehen vom absoluten Leistungsdruck, den die Kinder schon in anderen Lebensbereichen haben – all das ist meiner Meinung nach wichtiger als eine große Masse an Talenten. Und so kann man dann vielleicht auch das eine oder andere Talent mehr für den alpinen Skisport begeistern.

Felix Neureuther kritisierte kürzlich, dass heutzutage schon Kinder im Sommer auf dem Gletscher trainieren. Sehen Sie das ähnlich?

Auch ich finde es Wahnsinn, wenn Zehnjährige im Sommer auf dem Gletscher oder in der Skihalle trainieren. Der Skisport muss Spaß machen und darf kein Vollzeitjob sein – zumindest nicht, bevor man sich bewusst dafür entscheidet, dass es einer sein soll. Für Kinder ist es doch auch wichtig, dass sie noch andere Sportarten ausprobieren. Ich selbst habe drei Sportarten ausgeübt, bis ich 15 Jahre alt war. Das ist doch viel wichtiger für die sportliche Grundausbildung als eine sehr frühe Spezialisierung.

Einer Ihrer Jugendtrainer hat mit Blick auf Ihre Karriere den Satz gesagt: „Irgendwann überholt die Fleißige die Talentierte.“ Beschreibt das tatsächlich Ihren Weg mit viel Hartnäckigkeit und Ehrgeiz?

Na ja, ein bisschen Talent habe ich schon auch (lacht). Aber im Ernst: Irgendwann reicht das eben nicht mehr aus. Spätestens, wenn man sich im Weltcup durchsetzen will, gehört harte Arbeit einfach dazu. Man darf nicht stagnieren und zufrieden sein, man muss immer schauen, was man noch besser machen kann.

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Sie sind nun WM-Zweite – da stellt sich die Frage nach dem „Ganz oben stehen“ automatisch. Zumal im kommenden Jahr Olympische Spiele anstehen. Beschäftigt Sie der Gedanke daran bereits?

Das Ziel, auch bei Olympia auf dem Podest zu stehen, motiviert mich natürlich schon jetzt. Aber es nimmt mir auch den Druck, dass ich jetzt schon eine Medaille bei einem Großereignis gewonnen habe. Ich will hungrig auf eine weitere bei Olympia bleiben, muss aber nichts erzwingen.

Ab Mittwoch steht nun erst einmal das Weltcupfinale in Lenzerheide an. Was haben Sie sich zum Saisonabschluss vorgenommen?

Es werden noch mal Weltcuppunkte vergeben – und im Abfahrtsweltcup will ich unbedingt den fünften Rang halten. Also möchte ich noch einmal eine Topplatzierung erreichen.