Xhafer (Misel Maticevic) in seiner heilen deutschen Wohngegend: Er kommt sich hier nicht mehr eingebettet, sondern isoliert und ausgestoßen vor. Foto: Alamode Filmverleih

Im Spielfilm „Exil“ verliert ein Mann allmählich den Halt. Der Regisseur Visar Morina erzählt mit den Mitteln des Paranoia-Thrillers von einem gut integrierten Einwanderer aus dem Kosovo, der sich von seinen deutschen Kollegen plötzlich diskriminiert fühlt.

Stuttgart - Alles fängt mit einer toten Ratte an. Die hängt am Gartentor. Dahinter steht das Reihenhaus, das Xhafer (Misel Maticevic) mit seiner Frau Nora (Sandra Hüller) in einer bürgerlichen Siedlung am Rande einer namenlosen deutschen Stadt bewohnt. Xhafer stammt aus dem Kosovo und wirkt geradezu vorbildlich integriert: deutsche Ehefrau, drei Töchter, gut bezahlter Job in einem Pharmaunternehmen, Eigenheim mit Vorgarten – deutscher geht es eigentlich kaum. Aber mit dem Kadaver am Tor wächst der Zweifel am eigenen Angekommensein.

Xhafer hat eine Rattenphobie. Der Verdacht liegt nahe, dass einer der Kollegen ihm das tote Labortier in den Eingang gehängt hat. Auch andere Anzeichen, dass er am Arbeitsplatz subtil gemobbt wird, scheinen sich zu häufen. Immer wieder fliegt Xhafer aus dem E-Mail-Verteiler hinaus, wodurch ihm wichtige Informationen vorenthalten bleiben. Alleine wartet er im Konferenzzimmer, weil ihm eine Raumänderung nicht mitgeteilt wurde.

Eine Klobrille erregt Verdacht

Ein Kollege (Rainer Bock) überprüft seine Datensätze und zögert die Rückgabe gezielt heraus. Ein anderer, mit dem er lange Zeit Tisch an Tisch gearbeitet hat, wechselt ohne Erklärung ins Großraumbüro. Das sind einzeln lauter Kleinigkeiten, die jedem passieren, die in diesem Fall und dieser Dichte aber auch Ausdruck von Ressentiments sein könnten. Im Betrieb scheint sich ja auch keiner merken zu können, dass Xhafer aus dem Kosovo und nicht aus Kroatien kommt. Vor einem Meeting mit Firmenvertretern muss er beim Händeschütteln und Vorstellen seinen Namen immer mindestens zweimal sagen. Sicher nicht böse gemeint. Nervt aber trotzdem. Oder doch böse gemeint?

Öffnet sich der Blick für die alltäglichen Mikroaggressionen erst einmal, dann ist der freie Fall in das paranoide Gefühl allgegenwärtiger Diskriminierung vorprogrammiert. Sogar von seiner Frau fühlt sich Xhafer hintergangen. Die hochgeklappte Klobrille stellt für ihn nun ein sicheres Indiz dafür dar, dass Nora in seiner Abwesenheit Herrenbesuche empfängt. Die Frau hat irgendwann verständlicherweise genug von den Verdächtigungen ihres Mannes. Als er sich erneut über die Ressentiments der Kollegen beschwert, sagt sie zu ihm: „Vielleicht bist du auch einfach nur ein Arschloch“.

Alltägliche Nadelstiche

Der 1979 in Pristina im Kosovo geborene, seit seiner Jugend in Deutschland lebende Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina nutzt in „Exil“ Mittel des Paranoia-Thrillers, um einem langsam wachsenden Gefühl der Ausgrenzung nachzuspüren. Mit genauem Blick und aus der subjektiven Perspektive eines scheinbar vollkommen Integrierten zeigt der Film die alltäglichen Nadelstiche des Rassismus, deren Auswirkungen sich in der Seele des Betroffenen verselbstständigen.

Geradezu haptisch inszeniert Morina dieses zunehmende Gefühl der Verengung. Die sommerliche Hitze liegt schwer über den Bildern. Die langen Gänge der Pharmafirma werden zum kafkaesken Labyrinth. Wenn die Mitarbeiter in der Betriebsversammlung den integrierten Kollegen aus dem Kosovo beklatschen, wirkt das wie eine Szene aus „Rosemary’s Baby“. Gerade weil Xhafer nicht als Sympathieträger angelegt ist und sich somit dem paternalistischen Mitleidsblick entzieht, folgt man seiner Wahrnehmung umso genauer und wird mit ihm in plötzliche Plotwendungen hineingezogen. Dass der Film am Ende in einem streitbaren Wendemanöver die eigene subjektive Herangehensweise noch einmal auf den Kopf stellt, verlängert das Konzept der produktiven Irritation noch über den Kinobesuch hinaus.

Exil. Deutschland 2019 Regie: Visar Morina. Mit Misel Maticevic, Sandra Hüller, Rainer Bock, Thomas Mraz. 121 Minuten. Ab 12 Jahren.