Noch ein legendäres Stück Bühnenkleidung: Rami Malek (links) als Freddie mit Gwilym Lee als Brian-May-Lookalike Foto: Verleih

Der Regisseur Bryan Singer hat den Aufstieg der britischen Rockband Queen verfilmt. Sein besonderer Fokus liegt auf dem persönlichen Drama des Sängers und Pianisten Freddie Mercury. Rami Malek verkörpert ihn mit Verve und Charisma.

Stuttgart - Wie viele Galileos brauchst Du noch?“, fragt gequält der Drummer Roger Taylor (Ben Hardy) aus der Gesangkabine. Die britische Rockband Queen ist 1975 in einem Bauernhof-Studio in Wales, sie spielt „Bohemian Rhapsody“ ein, das zentrale Stück des Albums „A Night at the Opera“ – und Taylor hat das beste Falsett für den operettenhaften Mittelteil. Die Musiker sind selbst erstaunt über die Kraft des Werks, allen voran der Sänger Freddie Mercury, der „Bohemian Rhapsody“ komponiert hat. Sie wollen, dass der Song zur Single wird – doch der Plattenfirma ist es zu extravagant, zudem sprengt es mit knapp sechs Minuten die zeitliche Toleranz der Radiosender.

 

Genau so hätte es gewesen sein, genau so aussehen können – das schillernde Filmporträt des US-Regisseurs Bryan Singer verbindet große Queen-Songs schlüssig mit entscheidenden Momenten der Bandgeschichte, die er für die große Leinwand behutsam fiktionalisiert und dramatisiert. Die realen Queen-Musiker Brian May (71) und Roger Taylor (69) waren durchweg eingebunden, sie gewährten Einblicke in die Dynamik der Band, natürlich wohlwollend und im Sinne der Legenden, aber ohne Lobhudelei und mit allen bekannten Konfliktlinien und Brüchen.

Kein gewöhnlicher Sänger

Da dient sich der junge Farrokh Bulsara (Rami Malek), Sohn indischer Parsen, unter dem Namen Freddie dem Gitarristen May (Gwilym Lee) und dem Drummer Taylor an, und gleich beim ersten Gig mit Freddie spüren alle im Konzert- wie im Kinosaal: Dieser exaltierte Mann mit dem Überbiss ist kein gewöhnlicher Sänger. Später sagt May zu Taylor, sein Song sei „nicht stark genug“ – und meint „I’m in Love with my Car“. Dann wiederum wirbt May für ein simples Mitklatschmuster – „We will Rock You“. Noch später ist der Widerstand gegen eine Disco-Nummer immens, bis der Bassist John Deacon (Joseph Mazello) das Hauptriff von „Another One Bites the Dust“ vorspielt und alle ahnen, dass sie daran nicht vorbeikommen werden.

Ein zweiter Strang gilt allein Mercury, der seine Homosexualität entdeckt und seine Einsamkeit durch wilde Parties kompensiert. Zur Schlüsselfigur wird der Manager Paul Prenter (Allen Leech), der Mercurys Drogen- und Sex-Eskapaden befeuert, bei denen der Sänger sich mit HIV infiziert. Bryan Singer („Die üblichen Verdächtigen“, 1995) beweist Fingerspitzengefühl, er zeigt die Exzesse nicht, nur die Wege dorthin – Mercury ist nicht Opfer, sondern Verführer und Verführter, Prenter kein eindimensionaler Schuft, sondern ein einnehmender Manipulator.

Maleks Leidenschaft ist ansteckend

Zur stimmigen Anlage gesellen sich starke Darsteller. Rami Malek, Sohn ägyptischer Eltern und geboren in Los Angeles, bringt einen ähnlichen migrantischen Hintergrund mit wie Mercury. Als paranoider Hacker in der Serie „Mr. Robot“ bekam er einen Emmy, nun imitiert er den Sänger nicht nur, sondern durchdringt ihn gespenstisch lebensecht. Mit einem Bewegungscoach hat Malek das ungestüme Posieren und Tänzeln gelernt. Er überzeichnet wohl dosiert, stellt den leicht überdimensionierten Überbiss zur Schau und trägt mit Hingabe die hautengen Overalls der 70er, Federboas, Samtkragen und Fell, später dann den strengen Schnauzbart-Look der 80er. Maleks Verve und Charisma sind ansteckend, und man glaubt gern, dass die anderen drei Bandmitglieder dem trotz allem liebenswerten Exzentriker Mercury einfach alles verzeihen mussten.

Verblüffend ähnelt Gwilym Lee dem Astrophysiker Brian May, dessen orchestrale E-Gitarren prägen waren. Ben Hardy glänzt als Biologe Roger Taylor mit offenherziger Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitüde, Joe Mazello gibt den zurückhaltenden John Deacon, dessen Einfluss oft unterschätzt wird – alle sind sie scharf geschnittene Charaktere, genau wie die unterschiedlichen Typen aus der Musikindustrie, die die Band begleitet haben.

Die Illusion funktioniert

Singer gibt der Musik viel Raum, und im im Breitband-Kinosound überträgt sich deren besondere Energie, Verspieltheit und Lebenslust. Studio- und Live-Aufnahmen von damals fließen bruchlos ineinander mit eigens eingespielten Passagen, alles wird eins. Besonders erstaunlich ist das beim Gesang: Es lässt sich nur erahnen, wo Mercurys reale Stimme erklingt, wo ein Stimmdouble und wo Malek selbst, der durchweg lippensynchron ist.

Die Illusion funktioniert, Freunde der Band erleben ein feierliches, unverhofftes Wiedersehen. Besonders eindrucksvoll ist der triumphale, nahezu ausgespielte 20-minütige Auftritt beim Live-Aid-Konzert 1985 vor 1,9 Milliarden Fernsehzuschauern in aller Welt. Größer kann eine Band kaum werden – und eine Nachinszenierung im Kino auch nicht.

Bohemian Rhapsody. Großbritannien/USA 2018. Regie: Bryan Singer. Mit Rami Malek, Ben Hardy, Gwilym Lee. 135 Minuten. Ab 6 Jahren.