Tom Schilling als Kurt Barnert, dessen Lebensweg Florian Henckel von Donnersmarck dem des deutschen Kunstmalers Gerhard Richter nachempfunden hat. Foto: Verleih

Ein Künstlerleben durch drei deutsche Dekaden und zwei Diktaturen: Der Oscar-Preisträger Florian Henkel von Donnersmarck feiert das epische Erzählkino alter Schule – inhaltlich teilweise heikel, aber durchweg packend.

Stuttgart - Wer nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“ – dieser Satz aus dem Talmud stand in dem Ring, den Oskar Schindler 1945 von seinen jüdischen Arbeitern bekam, nachdem er sie vor der Ermordung durch die Nazis bewahrt hatte. In „Werk ohne Autor“ nun sagt nach dem Krieg ein russischer Offizier diesen Satz zum inhaftierten Nazigynäkologen Carl Seeband, der ihm Frau und Kind gerettet hat.

Der Deutsche aber handelt keineswegs humanistisch. Sebastian Koch gibt Seeband den monströsen Gestus eines weltgewandten Mannes, der äußerlich kultiviert und geschmeidig wirkt, innerlich aber permanent strammsteht vor einer erbarmungslosen Weltsicht. Und die macht selbst vor der eigenen Tochter nicht halt.

Seeband ist nicht die Hauptfigur in Florian Henckel von Donnersmarcks Film, aber die Schlüsselfigur: An diesem Mediziner ohne Moral, der sich wendig in der DDR einnistet und später im Westen, arbeitet sich der Künstler Kurt Barnert ab. Er hat das Herz von Seebands Tochter Ellie gewonnen und erträgt nun Demütigungen aller Art auf einer Odyssee durch die deutsche Geschichte. Minimalistisch formt Tom Schilling („Oh Boy“) einen Charakter, der mit Understatement und Sanftmut letztlich auf seine Art zum Erfolg findet.

In Hollywood ist Donnersmarck nie angekommen

Episches Erzählkino von Schiwago’schen Ausmaßen ist selten geworden, und Donnersmarcks historischer Bilderbogen braucht die große Leinwand. Der Filmemacher ist nach dem Oscar für „Das Leben der Anderen“ (2006) in Hollywood nie angekommen, sein Thriller „The Tourist“ (2011) wirkte, als hätte die Hauptdarstellerin Angelina Jolie Regie geführt. Nun kehrt er mit einem deutschen Stoff zurück.

Barnerts Leben hat er an jenes des Künstlers Gerhard Richter angelehnt, der 1932 in Dresden geboren wurde, in der DDR gefragt war, 1961 in den Westen floh und an der Düsseldorfer Kunstakademie Joseph Beuys, Günther Uecker und andere traf. Das internationale Echo bei den Festivals in Venedig und Toronto war positiv, zu Hause indes steht der Film unter Feuer: Richter schweigt eisig, es wird über Fakten und Fiktion diskutiert. Ein deutsches Unbehagen gegenüber amerikanischer Fiktionalisierung spielt da eine Rolle – Donnersmark liebt und kann es „larger than life“ – wie auch die Selbstherrlichkeit des Regisseurs, die unvoreingenommene Blicke auf sein Werk erschwert. Zudem prägen Enthüllungen des Journalisten Jürgen Schreiber aus dessen Richter-Biografie von 2005 die Dramaturgie, Schreiber wird aber nicht einmal als Ideengeber erwähnt. Das erinnert fatal an Donnersmarcks Fauxpas, als er seine Frau zur Oscar-Verleihung mitnahm statt der famosen Martina Gedeck, ohne deren Ausstrahlung „Das Leben der Anderen“ nicht derselbe Film wäre.

Die Folgen der Naziverbrechen werden en Detail gezeigt

Von Schreiber hat er Richters Tante Marianne übernommen, die hier Elisabeth heißt. Saskia Rosendahl spielt sie als Freigeist, die den kleinen Kurt in die Naziausstellung „Entartete Kunst“ mitnimmt, wo sie die verfemten Werke bewundern, während Lars Eidinger als Gesinnungswächter Verachtung spuckt. Die exzentrische Elisabeth landet im Euthanasie-Gas, und Donnersmarck zeigt das in einer Montagesequenz mit dem Feuersturm von Dresden und den fallenden Brüdern an der Front – heikel, aber motiviert: Die Traumatisierung durch die Naziverbrechen wird Barnert prägen, seine spätere Frau Ellie, die er an der Dresdner Kunstakademie trifft, sieht Elisabeth frappierend ähnlich. Paula Beer („Frantz“) nimmt sich zurück, um nicht mit Schillings leisem Spiel zu konkurrieren, und beiden gelingt es, die überschattete Liebe ihrer Figuren glaubhaft erscheinen zu lassen.

Präzise bildet Donnersmarck menschliche Regungen, Beziehungen, Scheidewege ab. Der Vorarbeiter in der Schilderfabrik (Ben Becker) erkennt das Talent Barnerts, der mit dem DDR-Kunstprofessor ringt und mit wandfüllendem sozialistischem Realismus, ehe er mit Massen von Flüchtenden in die S-Bahn gen Westen drängt, um an der Düsseldorfer Akademie einen nagelnden, Günther Uecker nachempfundenen Kollegen zu finden, einen Mentor, der stark an Beuys erinnert, und seine Handschrift als Maler.

Die drei Stunden vergehen wie im Flug

Die größten Momente aber gehören Sebastian Koch. Subtil lässt Seeband den Russen seine ganze – rassistische – Herablassung spüren, im Atelier des Schwiegersohnes verliert er beim Anblick eines Gemäldes den Boden unter den Füßen, ohne es dem nichts ahnenden Künstler zu zeigen. All das ist schlüssig erzählt. Wenn man die Selbstverliebtheit des Regisseurs aushält, die Fiktionalisierung anerkennt und die sehr klassische Form inklusive mondäner Filmmusik akzeptiert, vergehen die gut drei Stunden wie im Flug.

Werk ohne Autor. Deutschland 2018. Regie: Florian Henkel von Donnersmarck. Mit Tom Schilling, Sebastian Koch. 189 Minuten. Ab 12 Jahren. Atelier am Bollwerk, Metropol