Nach Freddie Mercury bekommt auch der Pianist und Sänger Elton John ein großes Kinoporträt – und mit ihm seine wunderbar zeitlosen Songs.
Stuttgart - Er behält im knallbunten Pfauenkostüm seine Würde, er trägt als orangefarbener Dämon mit Hörnchen ganz ernsthaft seine Depression zur Schau, er setzt gefasst die albernsten Brillen auf und wird selbst in der Kluft einer barocken Monarchin nicht völlig zur Witzfigur: mit beeindruckender Selbstverständlichkeit verkörpert der englische Schauspieler Taron Egerton den Popstar Elton John in seiner ganzen Exzentrik, seiner ganzen Musikalität und seiner ganzen, überbordenden Menschlichkeit.
Der Regisseur Dexter Fletcher, der den Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ bravourös fertiggestellt hat, nachdem Bryan Singer wegen Missbrauchsvorwürfen aus dem Projekt ausgeschieden war, setzt nun Elton John ein großes filmisches Denkmal. Im Zentrum steht auch hier die Musik, zeitlose Welthits wie „Tiny Dancer“, „Your Song“, „Goodbye yellow Brick Road“ oder der titelgebende „Rocketman – aber anders als bei Queen, wo die Band-Dynamik eine Rolle spielte, werden die Songs hier in Musical-Sequenzen à la „La La Land“ zu Schlüsselepisoden in Elton Johns Biografie.
Egerton singt alles selbst
Wie Brian May und Roger Taylor von Queen hat der Künstler sich in den Produktionsprozess eingebracht und sogar den Hauptdarsteller höchstpersönlich ausgewählt, der sich in der Agentenfarce „Kingsman“ an der Seite von Colin Firth für höhere Aufgaben empfohlen hat – und der nun tatsächlich, anders als Rami Malek in „Bohemian Rhapsody“, alle Stücke selbst singt und diese Aufgabe sehr anständig meistert. In jeder seiner Geste und Mienen, in jedem Satz schwingt mit, dass Elton John mit der Welt im Clinch liegt: Als Bühnenfigur badet er förmlich im Applaus und genießt es bis zum Anschlag, dass Leute in aller Welt ihn anhimmeln; als Musiker aber vertraut er manchmal den falschen Leuten im knallharten Musikgeschäft und leidet als Mensch bald unter der schweren Einsamkeit, die viele große Popstars befällt – verstärkt noch durch die unterschwellige Diskriminierung, der er als schwuler Mann in den 70er Jahren ausgesetzt ist. Vor allem aber kommt dieser Elton John alias Reginald Dwight, den als Kind alle nur „Reggie“ nannten, nicht darüber hinweg, dass sein verspannter Vater ihm jegliche Zuwendung versagt und die Familie schließlich verlassen hat.
Das klingt nach Küchenpsychologie, vermittelt sich aber sehr stimmig im Musical-Kontext, in dem manchmal innerhalb und außerhalb der Familie mit verteilten Rollen gesungen wird. Anders als der exaltierte Freddie Mercury ist Elton John zunächst schüchtern und findet in dem Texter Bernie Taupin ein ideales künstlerisches Pendant. Jamie Bell („Billy Elliott“) verkörpert Taupin als zunächst ebenfalls zurückhaltenden jungen Mann, der als heterosexueller Autor im Hintergrund nur mit den Sonnenseiten des Ruhms konfrontiert wird – während Elton John bald in einer spontan aufgesuchten Selbsthilfegruppe bekennen muss, er sei süchtig: nach Alkohol, Drogen, Sex – die Liebe, das Entscheidende, die Leerstelle in seinem Leben, erwähnt er nicht.
Die Funken fliegen
Dabei gerät Elton John in „Rocketman“ weit weniger tief in einen Sumpf als Freddie Mercury in „Bohemian Rhapsody“, was wohl der Realität entspricht und letztlich gar keine Rolle spielt: Das Dilemma des Popstars, der bei jedem wirkmächtig in Szene gesetzten Auftritt die Funken fliegen lässt und den Fuß aufs Piano stellt, offenbart sich auch so. Für größtmögliche Kurzweil sorgen auch eine den Künstler rastlos umschwärmende Kamera und ein dynamischer Filmschnitt mit klug gesetzten Zeitsprüngen.
„Rocketman“ dürfte bei den Oscars eine Rolle spielen, und nach Rami Malek, der aktuell zum besten Hauptdarsteller gekürt wurde, ist nun Taron Egerton schon jetzt ein heißer Kandidat für 2020.