Ständig zu spät: Vincent Lacoste und Isaure Multrier in „Mein Leben mit Amanda“ Foto: Verleih

Ein französischer Lebenskünstler soll sich nach dem Tod seiner Schwester um seine kleine Nichte kümmern.

Stuttgart - Es ist Sommer in Paris, das Licht hell und weich, das Leben auf den Straßen unbeschwert. Mit dem Fahrrad fährt David (Vincent Lacoste) durch die Stadt, ein schlaksiger Kerl von 24 Jahren, aus dessen Gesicht die Jugendlichkeit noch nicht verschwunden ist. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, hat keine großen Ambitionen und bekommt von seiner alleinerziehenden Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) den Kopf gewaschen, wenn er wieder einmal seine siebenjährige Nichte Amanda (Isaure Multrier) zu spät von der Schule abholt. Die Vertrautheit einer gut gepflegten Geschwisterbeziehung ist da zu spüren, in der man kein Blatt vor den Mund nimmt und sich doch aufeinander verlassen kann.

Auf dem Weg zur Feier von Sandrines bestandener Führerscheinprüfung überholen David Polizei- und Krankenwagen. Auf der Wiese beugen sich die Überlebenden über ihre verblutenden Freunde – ein Terrorist hat wahllos in die Menge geschossen und Sandrine erwischt. Nur wenige Sekunden zeigt Mikhaël Hers in „Mein Leben mit Amanda“ diese stummen Bilder des Schreckens und widmet sich danach den Überlebenden und Hinterbliebenen, die mit den traumatischen Folgen der Gewalttat umgehen müssen. Als nächster Verwandter ist es David, der sich um Sandrines Tochter kümmern muss. Auch wenn er seine kleine, kluge Nichte sehr liebt, ist die Aufgabe für den 24-Jährigen, der bisher frei in den Tag hinein gelebt hat, eine vollkommene Überforderung. Aber der junge Onkel und die kleine Nichte müssen gemeinsam einen Weg durch ihre Trauer finden.

Ganz ohne Sentimentalität, aber mit einem sensiblen Respekt für seine Figuren erzählt „Mein Leben mit Amanda“ von dieser Annäherung unter traumatischen Bedingungen. Daraus ist ein sanft bewegender Film über die Größe und Flexibilität der menschlichen Seele entstanden, der seinen Figuren keine Katharsis verschreibt, sondern sie beim Suchen nach Wegen aus dem Schmerz begleitet. Mit fast schon magischer Umsicht verhandelt Hers dieses komplexe Thema und kommt dabei ganz ohne aufdringliche Geschmacksverstärker aus.