Sophie Cookson Foto: Verleih

Die Geschichte der „roten Joan“, die als junge Frau im Kalten Krieg für die Russen spionierte, kommt als Herz-Schmerz-Drama auf die Leinwand.

Stuttgart - Eines Morgens steht die Polizei vor der Tür der überraschten Rentnerin Joan Elizabeth Stanley, verhaftet sie, nimmt sie zur Befragung mit. „Granny Spy“ nennt die britische Boulevardpresse die Seniorin fortan. Spionage für die Sowjetunion wird der Mittachtzigerin vorgeworfen, vier Jahrzehnte lang soll sie für den russischen Geheimdienst KGB gearbeitet haben.

In Rückblicken wird das „Geheimnis eines Lebens“ aufgerollt, basierend auf Jennie Rooneys Roman „Red Joan“, der lose auf der Lebensgeschichte von Melita Stedman Norwood fußt. Einen Spionagethriller erwartet man, eine angelsächsische Spezialität im Nachhall von „Dame, König, As, Spion“, der überragenden Mini-Serie nach John Le Carré, in der ein „Maulwurf“ enttarnt wird, ein Agent, für den der legendäre Kim Philby Pate stand.

Die junge Joan erliegt einem Draufgänger

Tatsächlich geht es zunächst um Hochverrat – und wie es dazu kam. In Cambridge lernt die Physikstudentin Joan (sympathisch: Sophie Cookson) 1938 die weltgewandte Sonya (Tereza Srbova) kennen, kurz darauf – während einer Vorführung von „Panzerkreuzer Potemkin“ – deren Cousin Leo (Tom Hughes). Bald erliegt sie dem Charme des jungen Draufgängers, der sie für seine Sache gewinnt: den Kommunismus. Dann tritt noch Joans verheirateter Chef (Stephen Campbell Moore) auf den Plan und eine Ménage-à- trois steht im Raum . . .

Der von Trevor Nunn („Was ihr wollt“) – primär ein Theatermann – unspektakulär inszenierte Film mutiert zum Herz-Schmerz-Drama, verliert den Fokus, interessiert sich mehr für die amourösen Eskapaden der „kleinen, hübschen Genossin“, wie Leo die Geliebte nennt. Zwischen den 1980ern und dem Zweiten Weltkrieg pendelt die Handlung, Kostüme und Ausstattung überzeugen. Wert hat man aufs Detail gelegt, wie beim Kassettenrekorder, mit dem Joans Aussage protokolliert wird, die im Alter souverän von Judi Dench verkörpert wird.

Der Film stiehlt sich aus der Verantwortung

Hinzu kommen etwas Spannung und Doppelbödigkeit. Außerdem Hiroshima, Kalter Krieg, ein Seitenhieb auf die Männer: „Wir sind Frauen. Niemand traut uns das zu . . .“, weiß Sonya. Ganz passend zur aktuellen Gleichstellungsdebatte. Alles korrekt, nur die eigentliche Frage wird nicht verhandelt: Was macht einen Menschen zum Überläufer? Wie lebt er damit? In moralischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht stiehlt sich das Werk aus der Verantwortung.