Gefangen in einer Geisterherberge: Jon Hamm, Jeff Bridges und Cynthia Erivo (von links) in „Bad Times at the El Royale“ Foto: Verleih

Missbrauch, Rassismus, Fanatismus: Der US-Regisseur Drew Goddard erzählt in seinem Hotel-Thriller mit Jeff Bridges vom typisch amerikanischen Wahnsinn einer vergangenen Ära.

Stuttgart - Auf der Grenze der US-Bundesstaaten Nevada und Kalifornien liegt der Lake Tahoe, inmitten von Kiefernwäldern und Gebirgen. In Francis Ford Coppolas „Der Pate II“ besitzt die Mafiasippe Corleone dort eine Villa, auch die Ponderosa-Ranch der Cartwrights aus der Serie „Bonanza“ befindet sich in der Nähe. Drew Goddard hätte für seinen mysteriösen Thriller „Bad Times at the El Royale“ kein besseres Setting wählen können: Reizvoll mischen sich hier amerikanische Lokalgeschichte, Populärmythologie und extreme Lebensstile, Glücksspieler und Mormonen, der Gold- und Silberrausch des 19. Jahrhunderts, die Atomwaffentests des 20. – das morbide Klima dieser Region prägt unterschwellig jede Minute des Films.

Als Schauplatz dient das titelgebende Hotel El Royale, das im Inneren von der Staatsgrenze durchschnitten wird. Im Nevada-Teil ist fast alles erlaubt außer der Genuss von Alkohol, und die Zimmer sind einen ganzen Dollar preiswerter als im Kalifornien-Trakt. Der hat dafür ein ordentliches Spirituosensortiment und Schummerbeleuchtung zu bieten. Zum Zeitpunkt der Handlung in den Sechzigern hat das Etablissement seine Glanzzeit allerdings hinter sich. Einen teureren Schuppen könnten sich Gäste wie der an Demenz erkrankte Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges) und die umhertingelnde Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo) gar nicht leisten. In der Lobby treffen die beiden Reisenden den Staubsaugervertreter Laramie Seymour Sullivan (Jon Hamm, „Mad Men“), der vergeblich auf das Erscheinen des Managers wartet.

Im Kofferraum liegt die betäubte Schwester

Nicht bloß Sullivans schmieriges Grinsen und seine herablassenden Bemerkungen in Richtung der Afroamerikanerin Darlene verbreiten ungute Schwingungen: Das El Royale verströmt mit seinem verstaubten Fünfziger-Jahre-Interieur das Flair einer Geisterherberge. Diesen Eindruck kann auch der vom Sturmklingeln des Priesters aufgescheuchte Concierge Mike (Lewis Pullman) nicht wettmachen. Mit ungesund blasser, von kaltem Schweiß bedeckter Haut tritt er aus einer Kammer hinterm Empfangstresen, trotz seines harmlosen Pfadfindergesichts erkennt man in ihm sofort den Junkie. Kurz darauf kreuzt noch die ruppige Hippie-Braut Emily (Dakota Johnson) auf. Dass sie im Kofferraum ihre betäubte Schwester mitgebracht hat, gibt Ärger. Die ist nämlich dem charismatischen Sektenführer Billy Lee (Chris Hemsworth) verfallen.

Allein diese seltsame Ansammlung grundverschiedener Typen lässt ahnen, dass Goddard keine nette Unterhaltung im Sinn hat. Nicht bloß als Regisseur und Drehbuchautor des Horrorkammerspiels „Cabin in the Woods“ (2012) hat er sein Faible für abseitige Stoffe gezeigt; auch als ausführender Produzent von Dan Trachtenbergs Endzeit-Bunker-Thriller „10 Cloverfield Lane“ (2016) mit John Goodman als irrem Verschwörungstheoretiker bewies er Gespür für die faszinierend unheimliche Wirkung amerikanischer Alltagsikonographie.

Bald gleicht das Hotel zum Vorhof zur Hölle

Von popkulturellen Versatzstücken und Zitaten lebt auch „Bad Times“. Man kann sich dem schmerzhaft nostalgischen Charme des Hotels kaum entziehen mit seiner permanent Motown-Hits dudelnden Wurlitzer-Jukebox, den Natursteinböden und Grafiktapeten. Doch hinter der Fassade vergilbter Heimeligkeit lauert der Wahnsinn in Form typisch amerikanischer Paranoia: Das Hotel ist durchzogen von Geheimgängen mit Überwachungsfenstern und bis in den letzten Winkel verwanzt, über das TV-Gerät in der Lobby flimmern Bilder von Richard Nixon, dem wohl berüchtigtsten Abhör-Maniker dieser Jahre.

Das Hotel selbst wird zum beseelten Körper, die Hintergründe der menschlichen Akteure werden wie die einzelnen Räume in Kapiteln erhellt. So verschieden die Charaktere sind, im Kern eint sie das Erleben von Gewalt. Missbrauch, Rassismus, Kapitalismus, pseudoreligiöser Fanatismus, Krieg, Armut: Goddard fächert über die individuellen Biografien sämtliche Erscheinungsformen des Bösen in der US-Gesellschaft auf. Die traurigen, kaputten, teils durchtriebenen Figuren erwecken Mitgefühl und Anteilnahme. Alle haben im El Royale eine Rechnung mit der Vergangenheit offen, nicht umsonst treffen sie an diesem Unort aufeinander, der bald dem Vorhof zur Hölle gleicht.

Wie Martin Scorsese, Quentin Tarantino oder David Lynch erzeugt Goddard durch den Kontrast von handfester Gewalt und jenseitiger Süßlichkeit enorme Spannung. Dass der Regisseur wie seine bekannteren Kollegen am Ende nicht alle Fragen klärt, gehört zum Konzept. Der amerikanische Wahnsinn mag einen Ursprung haben, völlig entschlüsseln lässt er sich nicht.