Veli (Aykut Kayacik) und Muhamed Yilmaz (Ercan Karacayli) müssen sich im Film "Almanya - Willkommen in Deutschland" ein Bett teilen. Foto: dapd

Zwei Schwestern erzählen , wie sie das deutsch-türkisches Roadmovie "Almanya" gedreht haben.

Stuttgart - Darf über Deutsche und Türken, Türken in Deutschland und Deutsche in der Türkei gelacht werden? Aber sicher! Das ist die Botschaft der wunderbar leichten Familienkomödie "Almanya -  Willkommen in Deutschland".

Wie lebt man als Deutscher? Man ist Mitglied in einem Schützenverein, schaut jeden Sonntagabend "Tatort", isst zweimal in der Woche Schweinefleisch und fliegt alle zwei Jahre zum Urlaub nach Mallorca. Yasemin und Nesrin Samdereli halten sich mit Klischees nicht zurück, wenn sie die Geschichte des Gastarbeiters Hüseyin Yilmaz erzählen.

Yilmaz, Ende der 1960er Jahre aus Anatolien ins Wirtschaftswunderland gekommen, wird nach 50 Jahren leben und arbeiten in Deutschland deutscher Staatsbürger. Aber fühlt er sich auch als Deutscher? Die Schwestern Semdereli - Yasemin (37, Regie) und Nesrin (31, Drehbuch) - wählen in ihrem gemeinsamen Spielfilmdebüt die erzählerische Sicht von Cenk, Hüseyin Yilmaz' Enkel. "Sieht aus wie ein Türke, spricht aber kein Türkisch, der kann ja nix", richten seine Schulkameraden über ihn und hauen ihm ein Auge blau.

"Was sind wir denn nun, deutsch oder türkisch?", trägt der Zehnjährige sein Problem zu Hause vor. Aus dieser Frage spinnt sich die Handlung des Films mit dokumentarischen Einspielungen; eine köstlich ironische Innen- wie Außensicht auf deutsche Verhältnisse. "Wir erzählen unsere Geschichte konsequent aus türkischer Sicht", sagt Yasemin Samdereli. Dazu gehört, dass die Deutschen im Film für niemanden verständlich reden; Drehbuchautorin und Regisseurin haben sich für ein fiktives Dialekt-Kauderwelsch entschieden. "Da stellt sich nicht nur Türken die Frage, wie deutsch sprechen Deutsche eigentlich?", lacht Yasemin Samdereli. Sie und ihre Geschwister sind in Dortmund in eine "relativ liberale Familie" hineingeboren worden. Ihr älterer Bruder habe sie in ihren Vorhaben immer unterstützt. Als Vertreter der Tradition erlebten sie ihre Großeltern väterlicherseits, die die Türkei nicht verlassen hatten.

Beitrag für angespannte Integrationsdebatte

"Unsere dortige Großmutter sprach Zaza, einen kurdischen Dialekt, wir konnten mit ihr nicht sprechen, aber sie hat alles körperlich ausgedrückt", sagt Nesrin Samdereli. Die Großmutter in Deutschland wiederum habe kein Deutsch gekonnt, aber auf wunderbare Weise die nonverbale Kommunikation beherrscht. "Sie trank ohne ein gemeinsames Wort öfter mit einer deutschen Nachbarin Tee, diese Art des übereinstimmenden Schweigens ist heute ausgestorben", bedauern die Schwestern Samdereli.

Yasemin hat nach dem Abitur an der Hochschule für Film und Fernsehen München studiert und sich als Regisseurin unter anderem mit der Multikulti-Komödie "Alles getürkt" einen Namen gemacht. Nesrin studierte nach dem Abitur an der Drehbuch-Akademie der Deutschen Hochschule für Film und Fernsehen Berlin und schrieb das Drehbuch von "Alles getürkt". "Almanya - Willkommen in Deutschland" ist kein autobiografischer Film, zeigt aber selbst erlebte Anekdoten. "In dieses Loch soll ich reinkacken?", fragt Cenk im anatolischen Dorf, wohin Hüseyin Yilmaz nicht ohne patriarchalischen Anspruch eines Tages seine Großfamilie kutschiert. "Wir haben solche Stehklos gesehen und waren entsetzt", sagt Nesrin Samdereli. In der Spiegelung des Problems schrubbt Yilmaz' Ehefrau nach ihrer Ankunft in Deutschland das Spülkastenklo. Die Deutschen, das weiß man in ganz Anatolien, sind nämlich dreckig und haben unbekannte Krankheitskeime, sinniert sie beim Putzen.

Und natürlich hatte die Dortmunder Familie Samdereli auf Drängen ihrer Kinder irgendwann einen Weihnachtsbaum. Er muss so ähnlich ausgesehen haben wie der Baum im Film. "Nur noch viel mickriger", lacht Yasemin Samdereli. Zehn Jahre Vorlauf hatte das vier Millionen Euro teure Filmprojekt, drei Jahre ruhte es ganz. Gedreht wurde schließlich in München und in der Nähe von Izmir. Unter den Schauspielern sind Katharina Thalbach, Axel Milberg und Walter Sittler in wunderlichen Nebenrollen zu sehen.

Dass die Premiere von "Almanya - Willkommen in Deutschland" nach der schwierigen Finanzierung auf der diesjährigen Berlinale mehr als 1600 Zuschauern gefiel, freut die Regisseurin, die Drehbuchautorin und die durch "Wer früher stirbt ist länger tot" bekannt gewordenen Produzenten von Roxy-Film außerordentlich. "Wir hoffen, dass unser Film ein entspannender Beitrag in der angespannten Integrationsdebatte ist", wünscht sich Yasemin Samdereli. "Wenn eine Frau ein Kopftuch trägt, heißt das noch lange nicht, dass sie zu Hause nicht die Hosen anhat", gibt die Regisseurin zu denken auf.

"Almanya - Willkommen in Deutschland" ist in Stuttgart in den Kinos Cinemax (Bosch-Areal), Gloria und Ufa-Palast zu sehen