Elisabeth Moss als drangsalierte Architektin Foto: Universal Studios/M. Rogers

„Saw“-Autor Leigh Whannell erzählt das alte Horrorstück vom bösen, unsichtbaren Wissenschaftler mit Elisabeth Moss unter modernen Vorzeichen.

Stuttgart - Wer hat schon Angst vor einem Typen, der in Mullbinden gewickelt durch die Gegend läuft? - Als James Whale 1933 H.G. Wells‘ fantastischen Roman „Der Unsichtbare“ verfilmte, jagte der gruselige Erfinder eines Unsichtbarkeitsserums den Kinobesuchern tatsächlich Schauer über den Rücken. Aus heutiger Sicht wirkt diese erste von mehreren Leinwandadaptionen des Stoffes eher rührend als schockierend. Leigh Whannell, Autor der berüchtigten, enorm erfolgreichen Torture-Porn-Reihe „Saw“, hält in seiner Neuverfilmung des alten Horrorschätzchens lange Zeit bloß auf das blanke Entsetzen im Gesicht seiner Protagonistin, um Angst und Terror sichtbar zu machen. Der Urheber des Schreckens bleibt zunächst im Dunkeln. Elisabeth Moss verkörpert die von ihrem Freund Adrian (Oliver Jackson-Cohen) grausam drangsalierte Architektin Cecilia Kass. Eines Nachts nimmt die einsame Frau all ihren Mut zusammen und flieht zu ihrem Vertrauten James (Aldis Hodge) und dessen Tochter Sydney (Storm Reid).

Intensive Darstellung tiefer Angst

Eindrucksvoll stellt Moss die schwere Traumatisierung ihrer Figur dar; unterm Eindruck permanenter Überwachung und Gewalt traut sich Cecilia selbst in Sicherheit kaum mehr vor die Tür und nimmt vor jedem Jogger im Kapuzenpulli Reißaus. Diese intensive Darstellung tiefer Angst überträgt sich auf den Zuschauer – eine besondere Stärke dieses Horrorthrillers der kleinen Produktionsschmiede Blumhouse Productions. Mit der Logik hält es Autor und Regisseur Whannell dagegen nicht so genau, die Spezialeffekte sind beinahe so drollig ungelenk wie im Klassiker von 1933. Und trotzdem besitzt die Inszenierung Kraft und Atmosphäre, weil sie vollkommen auf die Sicht des Opfers und nicht auf die machtvolle Perspektive des Täters fokussiert.

Nachdem sich Cecilia eine Weile vor ihrem Ex verschanzt hat, erfährt sie, dass sich der Entwickler optischer Werkzeuge das Leben genommen hat. Doch bald mehren sich Anzeichen, dass Cecilia von einer unsichtbaren Gewalt verfolgt wird. Weil Whannell den fiesen Wissenschaftler physisch wieder auferstehen lässt, gerät die zuvor so sorgsam aufgebaute psychologische Ebene ins Hintertreffen: Nun muss sich Cecilia ganz handfest mit ihrem Peiniger auseinandersetzen, was Whannell in teils überzogenen, unfreiwillig komischen Actionsequenzen abhandelt. Bemerkenswert ist aber, wie Whannell in seiner Interpretation der alten Mär einen modernen Bedeutungswandel vollzieht. Handelte es sich bei Wells noch um eine schaurig-romantische Warnung vor den Auswüchsen gefährlich entfesselter Forschung, schildert Whannell, wie eine gedemütigte Frau sich ihr von einem monströsen Mann geraubtes Leben zurückerobert. Das macht Hoffnung.

Der Unsichtbare. USA 2020. Regie: Leigh Whannell. Mit Elisabeth Moss, Aldis Hodge, Storm Reid, Oliver Jackson Cohen. 125 Minuten. Ab 16 Jahren. Cinemaxx Mitte/Si, EM, Ufa