Eigentlich war die Lärmschutzkopfhörer eine Anschaffung, die dem Kind zugute kommen sollte. Erwachsene schwören allerdings auch auf dieses Accessoire. Foto: Setzer

Wenn’s gut läuft, klingt der Lärm der Kindheit ein Leben lang in den Ohren. Manchmal ist das so laut, dass unser Kolumnist Michael Setzer deswegen sogar Erwachsene überhört, die sich über Kinderlärm beschweren.

Stuttgart - Immer wieder en vogue, besonders bei Menschen ohne Kinder: Sie ärgern sich über Kindergeschrei. Als ob Eltern sich freuen würden, wenn die Kinder schreien. Im Gegenteil: Es gibt nichts schlimmeres als ein weinendes Kind. Im Zuge meiner fortschreitenden Verweichlichung wird mir sogar ganz blümerant, wenn wildfremde Kinder weinen.

 

Ein weinendes Kind: niemand will das. Noch schlimmer natürlich: das eigene Kind weint. Es bereitet mir körperliche Schmerzen, gerade weil der Sohn noch nicht sprechen kann. Wir kommunizieren via geworfener Gegenstände, lachen, weinen, nicken, Kopfschütteln, lustig klingenden Fantasiewörtern und küssen. Toll, eigentlich.

Manchmal wünsche ich trotzdem, er würde etwas sagen. Sagen, was gerade das Problem ist. Dann könnte ich schneller helfen oder erklären: „Nicht weinen, Jon Bon Jovi ist halt kein Bruce Springsteen. Das bekommen wir jetzt nicht mehr geändert!“ Manchmal muss man schließlich auch rational sein.

Lärm und Chaos, so muss das sein

Aber ich bleibe dabei, den Lärm und das Chaos, das Kinder anzetteln: Besser wird’s nicht mehr. Kinder sollen Spaß haben, lachen, Bälle gegen das Garagentor kicken, mit dem Bobbycar über den Gehweg schrabben, mit irgendwas gegen den Heizkörper kloppen – das ist ihr Job. Sie sollen Zeug auf den Boden und ihr Herz in die Luft werfen. Das ist guter Lärm. Der Lärm der Kindheit. Wenn’s gut läuft, ist das so ohrenbetäubend laut, dass man ein ganzes Leben davon zehren kann.

In Hamburg habe ich mal miterlebt, wie vier Mütter mit sechs Kindern ein Restaurant zerlegt haben. Absolute Hooligans, die Kleinen. Da flogen Pommes durch den Raum, Geschrei hinterher und hätten sie nicht eigene Plastikbecher mitgebracht, dann hätte man das auch locker als Polterabend oder Vorbote der G20-Krawalle durchwinken können.

Laut sein, so lange es noch geht

Meine Nudeln hätten allerdings weder besser, noch schlechter geschmeckt, wenn die Chaos-Kids Bücher gelesen, Kreuzworträtsel gemacht oder die Klappe gehalten hätten. Und trotzdem: Wenn wir Erwachsene an unserem Tisch so einen Aufruhr verursacht hätten: wir wären rausgeflogen. Kopfnuss vom Türsteher, Sirenen, Polizei, U-Haft, Kaution, Riesenärger. Ergo: Lieber Hooligan sein wenn man noch jung ist.

Mir ist durchaus bewusst, dass es Menschen gibt, die derartige Performances abgrundtief hassen. Ich wohne allerdings in einer Großstadt (____________ - hier bitte einen süffisanten Stuttgart-Witz einfügen). In Städten ist es andauernd laut. Sobald man das Haus verlässt, wird man mit dem Geräuschabfall anderer Menschen konfrontiert. Irgendwas ist immer: Hunde, Nachbarn, Autos, Gasexplosionen, Gebrüll, Polizeihubschrauber, Sirenen – manche Leute lachen sogar laut. Drecksäcke.

Menschen verursachen Lärm

Weitaus störender als vogelwilde Kinder empfand ich jüngst eine ältere Dame, die „lauter Kanaken!“ durch die Stadtbahn brüllte. Oder diesen Business-Kasper in der Bahn, der seiner Begleitung, vermutlich zur Geschlechtsverkehrsanbahnung, unentwegt von seinen beruflichen Erfolgen berichtete.

Ich befürchte, er redete so laut, damit auch andere im Waggon von seiner „Bumsability“ überzeugt würden – also, falls die Begleiterin nicht vollständig bekehrt würde.

Mich dagegen hatte neulich fast der Herzinfarkt ereilt. Der Sohn hat heimlich den Lautstärkeregler an der Stereoanlage nach rechts gedreht hat. Das ist da, wo’s laut wird. Haben wir dann gemerkt als es laut wurde. Wahrscheinlich hassen uns jetzt die Nachbarn.

Lesen Sie hier mehr aus der „Kindskopf“-Kolumne

Michael Setzer ist vor über einem Jahr Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht.