Die Frühen Hilfen können für das Gedeihen der Kinder entscheidend sein. Foto: dpa/Paul Zinken

Mit Besuchen am Wochenbett, bei den Familien und mit Familientreffen schafft Stuttgart die Grundlage für Kinderschutz von Anfang an. Der Lockdown hat dies vereitelt und zur Umstellung auf Digitalangebote gezwungen.

Stuttgart - Kinderschutz ist nicht nur Sache der Eltern, sondern auch der Auftrag des Staats. Die Jugendämter sind für alle Fälle von – auch vermuteter – Gefährdung und Verletzung des Kindswohls zuständig. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat deshalb ein Kinderschutzkonzept entwickelt, das von klein auf greifen soll. Die Frühen Hilfen sind präventiver Bestandteil, der aber hat unter der Pandemie gelitten.

Schwierige Kontaktaufnahme

Zu den Frühen Hilfen gehören beispielsweise Besuche am Wochenbett, die von 78 auf 62 Prozent der Geburten sanken; die Willkommensbesuche der Jugendamtsmitarbeiter bei Eltern zu Hause mussten während des Lockdowns sogar ganz ausbleiben, der Anteil der Kontakte sank deshalb von 60 auf 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Auch das Willkommensfrühstück, das sonntagvormittags stadtweit an 18 Standorten stattfindet und Eltern die Möglichkeit gibt, andere Familien kennenzulernen und sich auszutauschen, musste lange ausfallen: Mehr als 800 Eltern erreichte man 2019, im Pandemiejahr 2020 nur noch gut ein Drittel; 425 Familien bekamen Starthilfe, das heißt zwischen fünf und 20 Stunden Hilfe; weiterführende Familienunterstützung durch Hebammen, Krankenschwestern oder Familienpfleger haben 183 Eltern mit einem Kind zwischen null und drei Jahren in Anspruch genommen.

Fälle werden immer komplexer

Einschnitte gab es zudem bei der Unterstützung in Erziehungsfragen. Das Landesprogramm Stärke soll Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten sichern. Vom bewilligten Budget in Höhe von 180 000 Euro sind wegen der Kontaktsperren gerade mal 82 000 Euro in Anspruch genommen worden.

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Auch die Einsätze von Familienkinderkrankenschwestern sind zurückgegangen. 2019 begleiteten diese noch 143 Familien mit 167 Kindern. Im Coronajahr 2020 sank die Zahl der Fallanfragen auf 100 Familien mit Gewalterfahrung, Suchtproblematik, psychischer Erkrankung der Eltern, jungen Müttern oder in schwieriger sozialer Lage. „Auffallend ist eine deutliche Zunahme dieser betreuungsintensiven und komplexen Fälle gegenüber den Vorjahren“, heißt es in dem jüngsten Bericht des Jugendamts – verbunden mit hohen Risiken für die Kinder: gesundheitlich und entwicklungsbedingt bis hin zur Kindeswohlgefährdung in rund 30 Prozent der Fälle.

Die Wirkung des Programms ist unerforscht

„Die Zahl der Inobhutnahmen blieben auf einem hohen Niveau konstant, ohne dass wir genau wissen, ob das an der Pandemie lag“, sagte Jugendamtsleiterin Susanne Heynen kürzlich im Jugendhilfeausschuss auf entsprechende Fragen aus dem Gremium. Die Risikofaktoren wie Armut, Wohnungsnot, Trennung, Überforderung seien die gleichen geblieben, aber zunehmend, wie die Bürgermeisterin für Bildung und Jugend, Isabel Fezer (FDP), betonte. „Die Frühen Hilfen können sie teils kompensieren, teilweise sieht man aber auch mehr, wenn man genauer hinschaut“, so Fezer.

Am Übergang in die Kita hapert es

Die Stadträtinnen Iris Ripsam (CDU) und Jasmin Meergans (SPD) zeigten sich verwundert darüber, dass das Jugendamt für das Programm keinen Finanzierungsbedarf für die anstehenden Haushaltsplanberatungen anmeldet. Uwe Hardt (Caritas) beispielsweise hält Willkommensbesuche für nicht ausreichend, die Frühen Hilfen sollten seiner Ansicht nach mehr Familien erreichen, und Waltraud Weegmann (Konzepte) sieht beim Eintritt in die Kitas Unterstützungsbedarf, was von der Stadt als schwierig eingestuft wird: „Wir können den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz derzeit nicht erfüllen“, sagt die Jugendamtsleiterin, aber sie verspricht: „Wir wollen das System jetzt erst mal wieder zum Laufen bringen, dann sehen wir weiter.“

Digital geht es voran

Das Jugendamt hat sich wegen Corona um neue Wege zur Kontaktaufnahme bemüht. Beratungen haben am Telefon stattgefunden, und seit Frühjahr 2021 finden Willkommensfrühstücke im digitalen Format statt: Eltern holen für das virtuelle gemeinsame Frühstück ein Frühstückpaket im Stadtteil- und Familienzentrum ab. Ab November 2021 soll die Website Frühe Hilfen die Familien niederschwellig informieren.

Hilfen von der Geburt an

Wo bekommt man Hilfe?
Im Jahr 2011 startete das Projekt „Sonnenkinder“ der Caritas mit finanzieller Unterstützung der Veronika-Stiftung. Seit 1. Januar 2016 gibt es in Stuttgart ein regelfinanziertes Hilfesystem der Frühen Förderung. Das Angebot wurde dabei auf weitere Geburtskliniken ausgeweitet, und die Evangelische Gesellschaft (Eva) kam als weiterer Träger hinzu. Bei allen Fragen und Anliegen rund um die Geburt kann sich heute jede Familie in Stuttgart begleiten lassen.

Die Bausteine
Bei „Guter Start“ gehen die Mitarbeiterinnen direkt in die Geburtskliniken: Die Caritas betreut mit den Sonnenkindern die katholischen Kliniken St. Anna und das Marienhospital, die Stadt Stuttgart betreut mit ihren Mitarbeiterinnen das Robert-Bosch-Krankenhaus und die Frauenklinik. Hinzu kommt ein nach Stadtbezirken organisiertes familienunterstützendes Angebot für zu Hause: Die Caritas besucht Familien in sechs Stadtbezirken, die Eva ist für fünf Bezirke zuständig.

Wer hilft weiter?
Wer Familienunterstützung benötigt, kann sich an info@sonnenkinder-stuttgart.de oder famteam@eva-stuttgart.de wenden. Dort sind auch weitere ehrenamtliche Helfer willkommen.