Netz-Fahndung: Das Strafrecht soll bei Kinderpornografie verschärft werden. Foto: picture alliance/Dedert

Der Stuttgarter LKA-Kriminalhauptkommissar Michael Pinther erzählt von einer Arbeit, die nicht viele aushalten. Als Leiter der „Ansprechstelle Kinderpornografie“ blickt er täglich in die Abgründe der menschlichen Psyche.

Stuttgart - Die Bilderflut hört nicht auf. Nackte Jungen und Mädchen, keine zwölf Jahre alt, obszön drapiert und fotografiert auf Sesseln oder Tischen. Kleinkinder sind dabei. Michael Pinther, Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA), schaut jedes der kleinen Vorschaubilder, die sich in Kolonnen über seine Rechnerbildschirme schieben, aufmerksam an. Gibt es Bildhintergründe, Schriftzüge oder irgendein Beiwerk, das etwas über den Aufnahmeort verrät, vielleicht sogar den Fotografen? Die brutalen Sachen zeigt Pinther nicht.

 

Der nordrhein-westfälische CDU-Justizminister Peter Biesenbachhat kürzlich genauen Einblick genommen, danach war ihm „speiübel“, wie er Ende Juni vor Journalisten sagte. Der Missbrauchsfall von Bergisch-Gladbach, der als vermeintlich überschaubare Tat mit wenigen Beteiligten begann, erzeugte diesen Sommer, als die Ermittler tiefer in die Festplatten geguckt hatten, umfassenden Schrecken. Ende Juni sprach die Polizei von 30 000 Chat-Abnehmern von Vergewaltigungsbildern. Kaum verdaut waren da die Nachrichten aus Münster von Anfang Juni. Mindestens drei Jungen, so der Verdacht, sind in einer Gartenhütte schwer sexuell missbraucht worden. Gleich zwei von Deutschland aus operierende Kinderschänderringe – das überstieg die Vorstellungskraft vieler.

Drei Fahnder, Millionen Bilder und Filme

Über Monate werden Kriminalbeamte in den Bundesländern die beschlagnahmten Dateien ausbewerten müssen. Michael Pinther gehört zu ihnen. Beim LKA ist er Leiter der sogenannten Ansprechstelle Kinderpornografie, die wiederum Teil der Großabteilung Cybercrime ist. Zwei Männer und eine Frau konfrontieren sich täglich mit Material, das sogar für Naturen, die als robust gelten dürfen, kaum zu ertragen ist. Im Fall Bergisch-Gladbach gebe es mehrere Anknüpfungspunkte nach Baden-Württemberg, sagt Pinther. Auch den Hauptverdächtigen im Fall Münster habe man, nach einem Nutzerhinweis, schon länger „auf dem Schirm gehabt“; da sei dessen bürgerliche Identität aber noch verdeckt gewesen.

Pinther, 48, Familienvater, ist ein Mensch mit freundlichen Augen und faltenlosem Gesicht. Das Lächeln fällt ihm leicht. Seine Sommerbräune kommt vom Radfahren und Schwimmen. Bewegung ist ihm wichtig nach Arbeitstagen, an denen er vollständig hinter seinen Computern verschwindet. Seit 2005 macht er diesen Job oder besser: hält ihn durch. Mehr als drei Millionen verdächtige kinderpornografische Fotos und Filme laufen jährlich beim LKA in Stuttgart auf. Alle zwei Stunden macht Pinther Pause, steht auf, holt sich einen Kaffee, sucht bei einem Kollegengespräch neue Kraft. Abends, auf der Nachhausefahrt, dreht er im Auto die Musik auf. „Bis ich daheim bin, ist es eigentlich gut.“

Das Strafrecht soll verschärft werden

Einen Großteil der Verdächtigen nennen sie unter Fahndern verächtlich „Bildlestauscher“. Das sind diejenigen, die konsumieren, aber nicht selber quälen, vergewaltigen oder missbrauchen. Jetzt, nach den Fällen von Lügde, Münster und Bergisch-Gladbach, soll es auch ihnen gegenüber keine Milde mehr geben. Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) arbeitet an Plänen zur Verschärfung des Strafrechts bei Kindesmissbrauch und Kinderpornografie. Zunächst hatte Lambrecht gezögert, doch der öffentliche Druck ist mittlerweile riesig. Künftig soll auch der Besitz von Kinderpornografie mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt werden können. Der Besitz bekäme damit Verbrechensrang.

Keine Ahnung, sagt Michael Pinther, wie er mit der dann sprunghaft steigenden Zahl von Kriminellen umgehen soll. Schon jetzt sei die Arbeit kaum zu bewältigen. „Weil wir nur wenige Leute haben, kommt es immer wieder zu Engpässen.“ Seiner Meinung nach ist das geltende Gesetz stark genug, es müsste nur konsequenter ermittelt und geahndet werden. Das denken auch andere Fahnder beim LKA. Das Pärchen aus Staufen bei Freiburg, das den eigenen Sohn über Jahre missbraucht und die Bilder im Internet verkauft hat, haben wir schließlich auch gekriegt, heißt es in den Behördenfluren. Im Sommer vergangenen Jahres sind die Mutter des befreiten Neunjährigen und ihr Lebensgefährte zu zwölf und zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Der Polizeipsychologe ist ständiger Begleiter

Eines Tages, es ist Jahre her, spürte Pinther, dass etwas mit ihm schief läuft. Er sah in einem Film ein Baby, das auf einem Wickeltisch missbraucht wurde. Seine Tochter war da im selben Kleinkindalter. Zuhause, als er selber mit Wickeln beschäftigt war, wurde ihm plötzlich schwindlig. Er fühlte sich allein. „Das habe ich wochenlang mit mir mitgenommen.“ Ihm reichten die Gruppengespräche im Kollegenkreis alle paar Monate nicht mehr. Er setzte beim LKA eine Supervision für sich und seine direkten Kolleginnen durch. Alle drei Monate haben sie seither Einzeltermine beim Polizeipsychologen, egal ob gerade etwas ist oder nicht. „Das ist jetzt wie Schießen oder Sport. Das ist verpflichtend“, erzählt Pinther. Alles, auch das Privateste, könne unter vier Augen auf den Tisch kommen. „Der Psychologe sieht auch, wie ich mich verändere.“ Mit dieser Hilfe hält der Kriminalhauptkommissar stand.

Die Daten und Hinweise strömen über die Homepage des LKA herein. Vor allem aber übers Bundeskriminalamt (BKA), das im Austausch mit ausländischen Behörden steht. Wichtigste Hinweisquelle des BKA in Sachen Kinderpornografie ist die nicht staatliche US-amerikanische Organisation National Centre for Missing and Exploited Children, kurz NCMEC. Sie bekommt bevorzugt Missbrauchshinweise, die von amerikanischen Anbietern wie Facebook, Microsoft oder Google gefiltert werden. Es handelt sich um IP-Adressen, von denen aus strafbare Uploads gemacht wurden. Liegt die Quelle in Deutschland, schicken die Amerikaner die Daten nach Wiesbaden. Im Jahr 2017 zum Beispiel bekam das BKA auf diesem Weg gut 35 000 Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen. Je nach Tatort wird auf die Länderbehörden unterverteilt.

Ärger über die fehlende Vorratsdatenspeicherung

Und dann geschieht oft – nichts. Kann nichts geschehen, weil die Adressen „leer“ sind, wie es in der Taubenheimstraße heißt. Die Provider sind durch das Gesetz nicht verpflichtet, Verbindungsdaten von Internetnutzern zu speichern. Nach dem Missbrauchsfall von Bergisch-Gladbach sind die Rufe nach einer Vorratsdatenspeicherung wieder laut geworden; vorneweg der NRW-Minister Biesenbach, der ankündigte, ein Gutachten zur juristischen Umsetzbarkeit und Vereinbarkeit mit EU-Recht in Auftrag zu geben.

Es muss eben anders gehen. Mit Schulfahndungen zum Beispiel. In Absprache mit dem Bundeskriminalamt gehen Pinther und seine Abteilung mit Fotos aus ihrer Sammlung auf die Rektoren von Schulen zu. „Ein in Deutschland wohnendes Kind muss irgendwo in eine deutsche Schule gegangen sein“, sagt Pinther. Ein Internet-Lehrerportal beschleunigt die Kontaktaufnahme. „Meistens sind schon Vorgeschichten im Gang gewesen.“

Eine Spezialsoftware nimmt etwas vom Druck

Durchschnittlich ein Drittel aller kinderpornografischen Daten, die bei der Polizei landen, sind Dubletten. Moderne Polizeisoftware, die Metadaten von Bildern und Filmen abgleicht, macht sie sofort kenntlich und meldet, wenn bereits etwas aktenkundig ist. Netzermittlern erspart das Zeit und Nerven. Das in den Niederlanden entwickelte Programm kann noch mehr. Es zerlegt Videos von Missbrauchshandlungen an Kindern in Sequenzen. Immer, wenn sich Szenen ändern, Personen hinzu- oder abtreten, wird ein Screenshot erstellt. Michael Pinther kann seinen Computerlautsprecher stumm stellen; zumindest das Weinen, Wimmern oder Schreien der Kleinen muss er so nicht in seinen Kopf lassen. Er sagt, das sei ihm eine riesige Hilfe. Und auch, dass er den Tätern, wenn sie gefasst werden, nicht selber gegenübertreten muss. Auf deren oft „haarsträubende“ Rechtfertigungen könne er gut verzichten.

Pinthers Tochter ist jetzt zwölf Jahre alt. Sie hat ihm ein Plakat gemalt, das er über den Schreibtisch gehängt hat. In großen Buchstaben steht darauf: „Genieße jeden Moment“. Er versucht es.