Rezept von Professor Stefan Bielack auf einem Notizzettel: Manchmal helfen Genesungswünsche weiter. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Nach einer erfolgreichen Behandlung ist der Krebs besiegt, die Folgen der Therapie beeinträchtigen das Leben der Patienten jedoch enorm. Für Jugendliche und junge Erwachsene gibt es am Olgahospital künftig eine Nachsorge jenseits medizinischer Hilfen.

Stuttgart - Eine Krebstherapie geht kaum spurlos an Patienten vorbei, insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind ein Leben lang beeinträchtigt. „Junge Patienten leiden nach einer Therapie unter Nervenempfindungsstörungen oder chronischen Schmerzen, großer Müdigkeit, an Erkrankungen des Nervensystems, und das Risiko der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bis zu 15-fach erhöht“, sagt Professor Stefan Bielack, Leiter der Kinderonkologie im Olgahospital.

Das Kinderonkologische Zentrum an der Kriegsbergstraße, eine der größten Spezialabteilungen bundesweit, behandelt Krebspatienten im Alter von 0 bis 18 Jahren. 2500 Neuerkrankungen in dieser Altersgruppe gibt es jedes Jahr in Deutschland. Bielack überbringt bei einer Pressekonferenz eine gute Nachricht: „Die Heilungsraten liegen bei 70 bis 80 Prozent, wenn die Erkrankung mit den besten verfügbaren Verfahren und von multiprofessionellen Teams behandelt wird.“

Nach der Heilung geht es weiter

Die Heilung dürfe aber nicht allein das Ziel sein, denn mindestens zwei Drittel der Krebsüberlebenden erleiden laut Bielack belastende Therapiefolgen, auch psychischer Art. Das wird sich nun ändern.

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Unter dem Titel Care for Caya (Care for Children, Adolescents, Young Adults) sind präventive Konzepte zusammengefasst, die belastende Langzeitfolgen abwenden oder zumindest reduzieren sollen, „im besten Fall Risikofaktoren für eine Folgeerkrankung gar nicht erst entstehen lassen“, sagt der Ärztliche Direktor des Klinikum Stuttgart, Dr. Jan Steffen Jürgensen.

In der Leukämietherapie beispielsweise werde sehr viel Cortison eingesetzt, erläutern die Ärzte des Klinikums Stuttgart. Das Medikament mache hungrig und führe zum Muskelabbau. Ein weiteres Medikament reduziere die Nervenleitgeschwindigkeit. „So lässt die Kraft nach, der Patient wird dicker, schwächer und unsicherer“, sagt Bielack, „dabei sind die Folgeerscheinungen rückbildungsfähig.“

Resultate nach einem Jahr

Mindestens 450 Patienten im Alter von 15 bis 39 Jahren sollen an 14 Zentren bundesweit an der drei Jahre dauernden Studie teilnehmen. In Stuttgart wird die Projektkoordinatorin Dr. Magdalena Sokalska-Duhme über standardisierte Abfragen den Bedarf erheben: „Wir prüfen, ob jemand über- oder untergewichtig aus der Therapie kommt und Unterstützung in Ernährungsfragen braucht, ob körperliche Aktivitäten oder auch Hilfen auf der psychosozialen Ebene nötig wären.“ Der Plan müsse individuell passen: vom Beratungsgespräch über Kochkurse, Hilfe beim Einkaufen, Therapeutentermine bis hin zur Vermittlung in geeignete Sportteams. Nach einem Jahr wollen die beteiligten Onkologischen Zentren die Resultate erheben.

Die Studie verfolgt ein weiteres Ziel: „Wenn das Konzept funktioniert, müssen die Kassen die Angebote bezahlen“, sagt Stefan Bielack. Das ist bisher nicht der Fall; zahlreiche Elterninitiativen und Förderkreise springen in die Bresche. Sie unterstützen mit Spendeneinnahmen unter anderem bedürftige Familien und bieten selbst Beratungs- und Betreuungsleistungen an. „Wir sehen den Bedarf, erstens die Zuständigkeiten für solche Hilfen zu klären und zweitens die Kosten dafür zu übernehmen“, sagt Cornelia Völklein vom Förderkreis krebskranke Kinder. Der Verein betreibt unter anderem das Blaue Haus, ein Domizil für Eltern und Geschwister der kleinen Krebspatienten. „Unser festes Ziel ist es, eine Stelle zu schaffen, die sich um die Bildung, den Alltag und die Zukunft der Patienten kümmert. Für Berufsintegration fühlt sich bis jetzt niemand zuständig, auch nicht darum, mit Firmen über Einschränkungen und Beschäftigungsmöglichkeiten der Patienten zu reden.“

Geringere Bildung, weniger Einkommen

Etwa 15 000 junge Menschen zwischen 15 und 39 Jahren erkranken jährlich an Krebs in einer Lebensphase, wo berufliche Interessen erst wachsen, ein eigenständiges Leben im Entstehen ist oder sich Familien gründen. „Bisher war nur aus den USA bekannt, dass viele Patienten nach einer erfolgreichen Krebstherapie beruflich nie Fuß fassen“, sagt Bielack. Besonders beeinträchtigt seien Hirntumorpatienten, weil sie oft in der Bewegung oder ihrer geistigen Fähigkeit eingeschränkt seien.

Neuerdings gebe es Erkenntnisse aus einer Untersuchung aus der Schweiz, bei der 1500 Kinder und Jugendliche, die ein Tumorleiden überlebt haben, fünf Jahre lang begleitet worden sind. Im Vergleich zu ihren gesunden Geschwistern waren sie weniger oft berufstätig, hatten wesentlich seltener einen Hochschulabschluss und signifikant geringere Einkommen.