Der kleine Anwer (Name geändert) könnte ohne Besuch von den Kinderkrankenschwestern nicht zu Hause bleiben Foto: Judith Schenten raumzeit3

35 kleine Patienten werden täglich von den Kinderkrankenschwestern des Vereins häusliche Kinderkrankenpflege besucht. Die Vergütung dieser Hausbesuche muss neu ausgehandelt werden, doch zu dem von der Krankenkasse angebotenen Preis will der Verein die Pflege nicht länger übernehmen.

Stuttgart - Die Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Pflegediensten sind für mehr als zehn Familien in Stuttgart ein Krimi: Sollte der Verein häusliche Kinderkrankenpflege keine auskömmlichen Pflegesätze bekommen, versorgt er die Kinder nicht mehr zu Hause.

Ben kam schwer herzkrank zur Welt. „An ein Spenderherz für ein Baby war gar nicht zu denken, also hatten wir nur die Wahl: Operieren oder sterben lassen“, sagt seine Mutter Lena (alle Namen von der Redaktion geändert). Inzwischen hat der Sechsjährige zahlreiche OPs hinter sich, braucht blutverdünnende Mittel, Inhalationen, nachts eine Sauerstoffmaske und vor allem jemanden, der ständig auf seinen Zustand achtet.

Zwei Mal in der Woche übernehmen die Kinderkrankenschwestern des Vereins Häusliche Kinderkrankenpflege diese Aufgaben. Ben kennt sie gut, von jemand anderem würde er sich nie anfassen lassen. „Wären die Schwestern nicht gewesen, hätte ich mich nicht um meine beiden anderen Kinder kümmern können“, sagt Bens Mutter, die mit Bangen in die Zukunft blickt: Es gibt zurzeit keinen Vertrag mehr zwischen dem Verein und der Krankenkasse AOK.

Anfahrtspauschale wurde gestrichen

Ambulant vor Stationär, das ist die Maxime im Gesundheitswesen, sowohl bei älteren Menschen als auch bei Kindern. Trotzdem ist es dem Verein nicht gelungen, die bisher gültige Rahmenvereinbarung und den Kinderergänzungsvertrag mit der AOK fortzuführen.

„Für einen Hausbesuch haben wir mit der AOK im November 2014 eine Einsatzpauschale in Höhe von 18,20 Euro und einen Stundensatz von 45,50 Euro vereinbart“, sagt Thomas Albrecht, der Sprecher des Vereins. Doch am 10. April diesen Jahres erreichte Albrecht eine Zuschrift der AOK, in der die Krankenkasse lediglich einen Stundensatz in Höhe von 41,50 Euro anbot, rückwirkend zum 1. April 2015 und für die Dauer eines Jahres.

Gestrichen waren die Anfahrtspauschale in Höhe von 18,20 Euro als auch die differenzierte Vergütung der unterschiedlich intensiven Leistungen. „Diesen Vorschlag konnten wir nicht akzeptieren“, sagt Thomas Albrecht.

Pflegedienste müssen mit den Kassen einzeln Vereinbarungen treffen

Sieben Pflegedienste für die häusliche Kinderkrankenpflege gibt es in Baden-Württemberg. Sie müssen mit den Kassen einzeln Verträge oder Vereinbarungen abschließen. Diejenigen Patienten, die bei der AOK versichert sind, „machen die Hälfte unseres Pflegevolumens aus“, sagt Albrecht. Deshalb habe man erstmal zu einem Ergebnis mit der AOK kommen wollen, um dieses dann auf die anderen Kassen zu übertragen.

Die Häusliche Kinderkrankenpflege behandelt derzeit 35 Kinder in Stuttgart. 25 Kinderkrankenschwestern sind, zumeist in Teilzeit, für den Verein unterwegs. 17 der Frauen sind fest angestellt, jede hat einen roten Renault Twingo, um schon auf dem Weg zur Einsatzzentrale die kleinen Patienten anfahren zu können. Daran soll die Krankenkasse Anstand genommen haben.

„Ob wir nicht den Fuhrpark verkleinern könnten, sind wir gefragt worden, dabei haben wir doch die Stimmigkeit der Kalkulation insgesamt schon mehrfach diskutiert und auch Zeitaufwände reduziert, die den Kassenvertretern zu umfangreich erschienen waren“, sagt Albrecht.

Zehn Kinder könnten keinen Hausbesuch mehr bekommen

Und an den Kinderkrankenschwestern lasse sich erst recht nicht sparen: „Wir orientieren uns am Tarif, den auch kommunale Krankenhäuser zahlen, sonst bekämen wir überhaupt kein Personal.“ Andere Dienste würden bereits Kopfprämien ausloben.

Wenn sich Kasse und Verein nicht einigen, bekommen rund zehn Stuttgarter Kinder, unter anderem Ben, keinen Besuch mehr von den Kinderkrankenschwestern. „Einige müssen dann ins Krankenhaus, für andere müsste die Kasse den Eltern einen anderen Pflegedienst besorgen“, sagt Albrecht.

„Die Kinderkrankenpflege leistet hochwertige Arbeit, das steht für die AOK Baden-Württemberg außer Frage. Wir sind mit dem Verein HKP-Stuttgart und anderen Pflegediensten auf einem guten Weg“, sagt Britta March, die Leiterin des Referats Pflege bei der AOK Baden-Württemberg.

Kurz nach diesem Gespräch habe die AOK der Häuslichen Kinderkrankenpflege in Stuttgart den ursprünglich vereinbarten Stundensatz in Höhe von 45,50 Euro sowie die bisherige Einsatzpauschale vorübergehend bis Oktober zugesagt. Die Vergütungsvereinbarung stehe noch aus. Britta March versichert: „Die Versorgung der bei uns versicherten Kinder war und ist nicht gefährdet.“