In Norbert Zähringers Buch „Zorro Vela“ bringen Außerirdische die Mauer zu Fall. Foto: Thienemann-Verlag

Dass es einmal zwei Deutschlands mit einem fiesen Zaun dazwischen gab, klingt für viele Kinder wie ein Märchen. Zum 30-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls stellen wir drei Kinderbücher vor, die unterhaltsam und lehrreich ein Kapitel deutsch-deutsche Geschichte aufrollen.

Stuttgart - Eine Mauer, die ein Land in zwei Hälften teilt und die scharf kontrolliert wird, damit sie niemand überwinden kann? Hätte man vor mehr als 30 Jahren mit den Augen eines Außerirdischen auf unseren Planeten geschaut, dann wäre einem die deutsch-deutsche Grenze mit dem im Kalten Krieg aufgebauten Raketenarsenal rechts und links davon als ziemlich absurd erschienen, als Mahnmal menschlicher Torheit gewissermaßen. Und überhaupt: Darf ein Alien eigentlich sicher sein, dass Menschen nicht eines Tages Raumschiffe bauen und ihre Zerstörungswut galaxisweit exportieren können?

Ein kleiner Zwischenfall an der Mauer, ein weltweiter Atomkrieg – und schon hat sich das Problem quasi von alleine erledigt. Das ist der Plan der Draconer-Aliens, als sie im Januar 1989 auf dem Parkplatz eines bankrotten Möbelmarkts im Zonenrandgebiet landen. Zum Glück für die Menschheit ist ihr Retter in Gestalt eines anderen Außerirdischen vom Planeten Oneiros schon da; nur für die Mauer gibt es in Norbert Zähringers erstem Roman für junge Leser kein Happy-End. „Zorro Vela“ heißt das Buch und bietet im Reigen der Kinderbücher, die zum 30-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls erschienen sind und von denen wir hier drei vorstellen, das schrägste Lesevergnügen. Denn der Außerirdische Zorro blickt für heutige Leser sehr erkenntnisreich auf irdische Zustände im Allgemeinen und auf das von seltsamen Gepflogenheiten geprägte Leben in der DDR im Besonderen.

Spannende Verfolgungsjagden zwischen Ost- und West-Marksdorf

Bei Zorros Rettungsaktion spielen René, der kurzsichtige Sohn des DDR-Grenzgruppenkommandeurs Oberst Reinhardt, und Annett, das klügste Mädchen aus Ost-Marksdorf, sowie ihre beiden neuen Freunde aus West-Marksdorf eine wichtige Rolle. Denn Kinder sind für die Strahlungen der Psychoprojektoren, mit denen die Draconer die Menschen manipulieren wollen, wenig empfänglich.

Mit „Zorro Vela“ ist Norbert Zähringer eine Geschichtsstunde der unterhaltsamen Art gelungen, die Themen Freundschaft, Mobbing, Smartphone-Sucht lässt er mit anklingen. Seine Einfälle sprudeln so effektvoll, dass sie ohne Probleme eine Kinoleinwand füllen könnten: Bizarre Aliens und ihre tollkühn ausgemalten Lebenswelten bevölkern „Zorro Vela“, es gibt spannende Verfolgungsjagden durch analoge Tunnel und virtuelle Zeitebenen, aber vor allem die Verwandlungskünste Zorros, der als Degenheld oder als Arzt aus den verbotenen West-Heftchen manch kritische Situation rettet, machen die Lektüre zum großen Vergnügen. (Norbert Zähringer: Zorro Vela.
Thienemann-Verlag. 336 Seiten. 15 Euro. Ab zehn Jahren) (ak)

Eine geteilte Freundschaft

Wer’s weniger schräg mag, greift zu Dirk Kummers Buch „Alles nur aus Zuckersand“. Die Grenze zieht sich darin nicht nur durch ein Land, sondern auch durch das Leben zweier Jungen. Fred und Jonas leben in Falkensee. Jenseits ihres Städtchens beginnt West-Berlin, 1979 war das ein anderer Staat, Ausland. Als Jonas’ Mutter einen Ausreiseantrag stellt, ahnen sie, dass ihre unbeschwerten gemeinsamen Tage gezählt sind. Die beiden Zehnjährigen, beste Freunde und Blutsbrüder, wollen sich im fernen Australien wiedertreffen. In einer stillgelegten Fabrik fangen sie abenteuerlustig an, einen Tunnel ans andere Ende der Welt zu graben. Der Plan zerrieselt im märkischen Sand, als Jonas mit seiner Mutter die DDR verlässt und ihre Grube von Grenzsoldaten entdeckt wird.

Der Autor und Regisseur Dirk Kummer, selbst zu dieser Zeit in Brandenburg aufgewachsen, verfasste den Roman „Alles nur aus Zuckersand“ nach seinem gleichnamigen Kinderfilm von 2017. Aus Freds Perspektive erzählt, geht es um eine unverbrüchliche Freundschaft, in die das politische System immer stärker hineinwirkt, ohne dass die Kinder es verstehen. Warum etwa darf Fred keinen Brief an Jonas ins nahe Berlin-Kreuzberg schreiben? Australien mit den Aborigines, die sich angeblich kraft ihrer Gedanken unterhalten können, bleibt das Hoffnungssymbol in diesem berührenden, authentischen Buch. (Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand.
Carlsen-Verlag. 138 Seiten. 12 Euro. Ab zehn Jahren) (hoc)

Machen Mauern einsam?

Vom anderen Ende der Welt, nämlich aus Neuseeland, kommt ein Bilderbuch, das die Absurdität des Mauerbaus in einen auch für Kinder verständlichen Kontext stellt. Sam muss sich sein Zimmer mit dem älteren Bruder teilen, der ihn mit nächtlichem Smartphone-Gezocke nervt. Eine Mauer wäre eine Lösung, findet Sam, ist aber mit seiner Idee in der Familie allein. In seiner Not wendet er sich an einen vermeintlichen Verbündeten. „Hallo Donald Trump“ heißt das Buch von Sophie Siers, das Sams Konflikte in Briefen an den amerikanischen Präsidenten schildert. Sind Taten besser als Worte, bieten Mauern Schutz oder machen sie einsam? Unter den vielen historischen Mauer-Beispielen, die Sophie Siers und ihre Illustratorin Anne Villeneuve mit witzigen Details ausmalen, ist natürlich auch die aus Berlin – und bei ihrem Anblick reift in Sam die Erkenntnis: Miteinander zu reden ist besser, als Mauern zu bauen. Und seine Meinung zu ändern ist nicht blöd, sondern cool. So endet sein letzter Brief an Donald Trump mit dem Satz: „Ich wünsch’ dir viel Glück mit deiner Mauer. Vielleicht reicht ja auch eine ganz kleine?“ (Sophie Siers, Anne Villeneuve: Hallo Donald Trump.
Esslinger-Verlag. 32 Seiten. 13 Euro. Ab 5 Jahren) (ak)