Die Stuttgarter Kinderbuchautorin Iris Lemanczyk ist gern unterwegs. Foto: Kathi Bauer

Die Odyssee eines Flüchtlings, Kinderhandel, Suchtprobleme: Die Stuttgarter Kinderbuchautorin Iris Lemanczyk erzählt von Schicksalen, die junge Menschen nicht kalt lassen.

Stuttgart - Eins ist sicher: Der Kinderbuchautorin Iris Lemanczyk wird der Stoff so schnell nicht ausgehen. Ob Flüchtlingsschicksale, Kinderarbeit, Suchtgefahr – „es sind die Ungerechtigkeiten in der Welt, die mich als Autorin ansprechen, die mich aufregen“, sagt sie. „Ich möchte mehr darüber erfahren und mein Wissen über diese Notstände Kindern und Jugendlichen mitteilen.“ Die Wahrheit, ist sie sich sicher, sei jungen Menschen zumutbar, auch wenn sie verstehen kann, dass eine Flucht in Fantasy-Gegenwelten, wie sie viele Bücher bieten, manchmal erstrebenswerter erscheint.

„Bei Lesungen erlebe ich Kinder, die interessiert und konzentriert zuhören und immer von mir wissen wollen, ob das Beschriebene in Wirklichkeit genau so sei“, berichtet Iris Lemanczyk. Dabei dürfen ihre Zuhörer und Leser sicher sein, es mit einer weit gereisten Augenzeugin zu tun zu haben: „Ich bin über das Reisen zum Schreiben gekommen.“ Bereits ihr erstes Buch war Resultat des Unterwegsseins. „Mein Lehrer kommt im Briefumschlag“ lautet der Titel, Iris Lemanczyk erzählt darin, dass Schule in anderen Ländern sehr anders sein kann. In Neuseeland etwa sind die Distanzen so groß, dass die Aufgaben per Hubschrauber einflattern; in China sind viele Menschen so arm, dass es Einfallsreichtum braucht, um das Schulgeld zusammenzukratzen. In Indonesien, einer deutschen Zirkusschule und in Namibia spielen weitere Geschichten des Buchs.

Erste Geschichten sammelt die Autorin in Namibia

Namibia ist das Land, in dem Iris Lemanczyk als Redakteurin der „Allgemeinen Zeitung“ in Windhoek erste Geschichten für ihre Bücher sammelte. Mit heiterem Entsetzen erinnert sie sich an ihre Zeit im Sportressort, als es jede Woche galt, in der Montagsausgabe eine Seite mit der deutschen Fußball-Bundesliga zu füllen. „Samstagabends saß ich am Radio und hörte Deutsche Welle, um die Ergebnisse mitzuschreiben“, berichtet die Autorin über internetfreie Zeiten.

Zurück in Deutschland, wäre das, nachdem Iris Lemanczyk ihr erstes Buch geschrieben hatte, ihr Traum gewesen: Die eine Hälfte des Jahres ihren Beruf als Redakteurin bei einer Tageszeitung ausüben, die andere Hälfte hätte dann den Büchern gehört, dem Recherchieren auf Reisen und dem Schreiben daheim. Weil sich niemand fand, der die andere Hälfte des Jobs in der Redaktion übernehmen wollte, aber der Auftrag für ein zweites Buch bereits auf Lemanczyks Tisch lag, wagte sie „den Sprung ins Ungewisse“. Rund zwanzig Jahre später hat die Autorin acht Bücher veröffentlicht und sichert ihr Auskommen mit Lesungen und Schreibworkshops für Jugendliche und Kinder ab der dritten Klasse.

Die Zeitung ist bis heute ein gutes Medium für Iris Lemanczyk, um auf Themen zu stoßen. Zu ihrem Buch „Ins Paradies?“, der Geschichte des 13-jährigen Adnan, der aus Tunesien bis nach Stuttgart flieht, wurde sie durch Meldungen über volle Flüchtlingslager auf Lampedusa angeregt. Von einer Reise nach Kambodscha hat die Autorin das Thema Kinderhandel mitgebracht und in ihrem Buch „Shi Wu und die Kinderdiebe“ verarbeitet. „Ich konnte vor Ort mit Kindern sprechen, denen es gelungen war abzuhauen“, erzählt sie. Reales und Fiktives mischen sich in ihren Büchern zu spannenden Einblicken.

Anleitung zum Weiterhelfen

Es sind Schicksale, die junge Menschen nicht kaltlassen. Gerade die Zehn- bis Zwölfjährigen, an die sich Iris Lemanczyks Bücher vor allem wenden, „haben einen unglaublichen Gerechtigkeitssinn“, wie die Autorin bei Lesungen beobachten konnte. „Sie stehen auf und fragen: Warum machen die Politiker nichts? Sie sind wachgerüttelt und würden am liebsten alles sofort verändern.“ Anregungen, wo man sich informieren und wie man helfen kann, gibt die Autorin deshalb ihren Geschichten als Anhang mit auf den Weg.

In Kirchheim/Teck geboren, lebt Iris Lemanczyk heute im Stuttgarter Heusteigviertel. Wenn sie von ihren Reisen mit vollen Notizbüchern zurückkehrt, ist eine Lichtung am Bärensee einer ihrer Lieblingsschreiborte; zwei ihrer Bücher entstanden im Schriftstellerhaus auf Rhodos. Doch jetzt im Herbst ist für Iris Lemanczyk wie immer Lesezeit. „Da tingle ich von Bücherei zu Schule“, sagt die Autorin. Fertiggestellt hat sie bereits ihr nächstes Buch. „Über Stock und Stein“ heißt es und beschreibt Schulwege in aller Welt, die meist weniger sicher sind als in Deutschland. Wenn Kinder ihr bei Lesungen dann sagen: „Bei uns ist es gut!“, freut sich Iris Lemanczyk: „Ich finde es schön, wenn sich junge Menschen mit dem eigenen Umfeld auseinandersetzen.“

Der Autorin werden, wie gesagt, die Themen nicht ausgehen. Und so kann eine Geschichte in der Schublade bleiben, die zu schreiben sie nicht übers Herz bringt. „In Kenia habe ich in einem Heim für Aidswaisen gearbeitet, gleich hinter dem Haus war der Friedhof mit Kindergräbern.“