Jens Kraske kocht sich ins Gedächtnis der Kinder. Das muss er Foto: Judith A. Sägesser

Viele Vereine und andere Einrichtungen sorgen sich, dass ihnen die Ganztagsschule die Kinder klaut. Dagegen hilft Kooperation, wie zum Beispiel in Riedenberg und Plieningen.

Riedenberg - Jens Kraske täuscht sich. Gerade hat er gesagt, dass der erste Crêpe nie was wird, „das ist ein Gesetz“. Es war ein Gesetz. Denn dieser Erstling könnte hübscher kaum sein. Fehlt noch, dass sich die Kinder die Lippen lecken. Es ist Montagnachmittag, und Jens Kraske ist kein Crêpe-Bäcker. Der 45-Jährige weiß einfach, was Kinder lieben.

Seit 16 Jahren leitet er das Schülercafé Alberta. Und die nachmittägliche Crêperie ist ein zuckriges Zeichen dafür, dass sich die Einrichtung für Kinder von sechs bis 14 Jahren gerade neu erfindet. Neu erfinden muss. Dem Alberta kommen langsam aber sicher die Kinder abhanden.

Die Hausaufgabenbetreuung war einmal

Saßen zu den Hochzeiten vor zehn Jahren 40, 50 Grundschüler an drei Nachmittagen im Schülercafé und haben ihre Hausaufgaben mit Jens Kraske und seinen Kolleginnen zusammen erledigt, ist dieses Angebot mittlerweile gestrichen – weil niemand mehr kommt. Die Kinder sind viel länger in der Schule als früher. „Die Entwicklung finde ich grundsätzlich positiv“, sagt Jens Kraske. In der Schule seien die Kinder mit ihren Hausausgaben sicherlich besser aufgehoben. Trotzdem muss er schauen, wo er und seine Kollegen bleiben.

Seit anderthalb Jahren hat die Grundschule Riedenberg ein für Eltern kostenpflichtiges Schülerhaus. Dabei handelt es sich um eine Zwischenstation auf dem Weg zur Ganztagsschule. Diese soll bis 2018 flächendeckend eingeführt sein. An der Grundschule Riedenberg werden etwa 100 Kinder bis 14 Uhr betreut, und 80 sind bis mindestens 17 Uhr an der Schule.

Offene Ohren an der Grundschule Riedenberg

Die Sorgen der Vereine

Allerorten sorgen sich die Vereine, dass ihnen die Ganztagsschule den Nachwuchs klaut. „Das ist in jedem Stadtteil das gleiche“, sagt Jens Kraske. „Wir müssen uns auf die Schulen zubewegen.“ Bei Daniela Noe-Klemm, der Leiterin der Grundschule Riedenberg, ist er auf offene Ohren gestoßen.

Bevor Jens Kraske die Crêpe-Platte ausgepackt hat, ist er Daniela Noe-Klemm bei einem Glas Sprudel gegenübergesessen. Die Chemie zwischen den beiden stimmt. Sie haben eine Kooperation ausgetüftelt, die die Rettung des Alberta sein dürfte: Jens Kraske und sein Team unterstützen das Schülerhaus bei der Betreuung der Kinder.

Das Prinzip heißt: miteinander statt gegeneinander. „Wir können ja kein Konkurrenzgeschäft sein“, sagt Daniela Noe-Klemm. Sie möchte, dass ihre Schüler „über den Tellerrand schauen“, wie sie sagt. „Die Kinder sollen rauskommen.“ Am liebsten wäre es ihr, wenn die Mädchen und Jungen zudem einen Nachmittag auf der Jugendfarm verbringen, doch das sei bisher an Formalien gescheitert.

Hier begegnen sich Kinder, die sich sonst nie begegnet wären

Ins Alberta kommen die Grundschüler unter anderem montags um 15 Uhr; dort spielen und basteln sie, oder sie vespern Crêpe wie an jenem Montag. Das Café hat dann auch für andere Kinder geöffnet. So begegnen sich Kinder, die sich ansonsten privat vielleicht nie begegnet wären. Jens Kraske nennt das „eine erfreuliche soziale Durchmischung“.

Exklusiv für Grundschüler gibt’s außerdem dienstags die Kreativ-AG und donnerstags die Zirkus-AG. „Wir betreiben einen deutlich größeren Aufwand“, sagt Jens Kraske. Personell ist im Alberta alles beim Alten, er und seine Kollegen stemmen das Pensum – zu dem noch mehr gehört als das Aufgezählte – mit zweieinhalb Stellen.

Die Finanzierungsfrage ist ein heißes Eisen

Neulich ist Jens Kraske von offizieller Stelle gefragt worden, ob er dem Schülerhaus eigentlich eine Rechnung für die Leistungen stelle. Da musste der Café-Leiter passen. Bisher gilt: Das Alberta hilft zum Nulltarif. Für Jens Kraske ist die Finanzierungsfrage ein heißes Eisen. Deshalb möchte er die Initiative von sich aus nicht ergreifen. Denn so gut die Lobby im Stadtbezirk fürs Schülercafé ist, es gibt doch ein Geldproblem – und zwar alle Jahre wieder.

Die Finanzierung ist oft unklar

Die Stadt bezuschusst das Alberta und seinen Heumadener Ableger Wilde 13 mit jährlichen 85 000 Euro, einen Batzen von 22 000 Euro überweist eine Stiftung, wobei ungewiss ist, wie lang die Gönner zahlungswillig bleiben. Zudem beteiligen sich die örtlichen Kirchen an den Kosten.

Etliche finanzielle Details sind noch unklar

So neu die Ganztagsbetreuung ist, so unklar sind auch etliche finanzielle Details. In Stuttgart gibt es inzwischen 17 Schülerhäuser. In den Bezirken unterm Fernsehturm hat neben der Riedenberger Grundschule die Albschule in Degerloch den Titel. Die Degerlocher Filderschule und die Körschtalschule in Plieningen wollen derweil übergangslos Ganztagsschule werden. Die Körschtalschule hat im September 2013 bereits mit der Ganztagsbetreuung in Klasse 5 und 6 begonnen, die Grundschule folgt.

Ob Schülerhaus oder Ganztagsschule – die Kooperationen mit Vereinen und anderen Einrichtungen bahnt sich hie und da an. In Plieningen zum Beispiel kooperiert der Turnverein mit der Körschtalschule. Zweimal die Woche bieten Übungsleiter Ballsport, Gymnastik und Tanz an. „Um den Nuller“, wie der Vorsitzende Folker Baur sagt, mache der Verein das nicht. Seit Kurzem sei klar, dass der TV die Sportstunden dem Träger der Ganztagsbetreuung berechnet. Für Erfahrungen sei es zu früh. „Das muss erst mal wachsen“, sagt er, „wir sind noch im Anfangsstadium“. Entsprechend schwammig sei das Prozedere.