Wegen der angespannten Situation haben sich viele Tagesmütter vernetzt. Denn einige stehen vor dem Aus. Gemeinsam wollen sie nun die Vorteile der Kindertagespflege sichtbarer machen.
An einem Sommertag wie diesem ist es ein Paradies für Kinder. Im schattigen Garten hinter dem Haus schwingt die große Nestschaukel noch nach. Wahrscheinlich war es eines der Kinder, das sie in Bewegung gesetzt hat, nun müssen sie aber alle nach dem Besuch schauen. Auf der Wiese steht ein Wasserspiel, auf der Oberfläche treiben die ersten heruntergefallenen Blätter träge dahin. Tanja Schüle bringt ein großes Tablett mit Schüsselchen, die sind gefüllt mit Mini-Kiwis, roten und blauen Beeren zum Naschen. Nach dem Mittagsschlaf haben die Kinder meistens einen gesunden Appetit.
Seit 2017 ist Tanja Schüle Tagesmutter. Damals wollte die heute 54-Jährige nach einer Familienpause wieder arbeiten. Um aber gleichzeitig für ihren eigenen Nachwuchs da sein zu können, war sie auf der Suche nach einem Job, den sie von zu Hause aus erledigen konnte; zurück in die Arztpraxis wollte sie nicht. Doch in der Vor-Coronazeit war Homeoffice noch nicht weit verbreitet. „Alle um mich herum haben mich gefragt: Warum wirst du nicht Tagesmutter?“, erinnert sich Tanja Schüle. Das lag nahe, schließlich hat sie sieben eigene Kinder großgezogen.
Tanja Schüle sammelte Informationen. Was braucht es, um Tagesmutter zu werden? Und kann man von diesem Job leben? Mit ihren Fragen wandte sie sich an Nadine Da Silva. Sie ist bereits seit 2010 Tagesmutter. Vorher hatte sie in den USA drei Jahre lang in der „Private Day Care“ – also der privaten Kindertagespflege gearbeitet. „Das wollte ich auch nach unserer Rückkehr nach Deutschland weitermachen“, erzählt die 45-Jährige. Also schulte die ehemalige Personalsachbearbeiterin um.
Tagesmütter brauchen eine umfassende Qualifikation
Um Tagesmutter zu werden, braucht es vor allem eine umfassende Qualifikation und geeignete Räume für die Betreuung. Leben kann man von dem Beruf auch – zumindest konnte man das in der Vergangenheit. In Stuttgart waren Tagesmütter viele Jahre lang gefragt, insbesondere für die Betreuung der ganz Kleinen von null bis etwa drei Jahren. Denn bei einer Tagesmutter geht es familiärer zu. Sie kümmern sich um maximal fünf Mädchen und Jungen gleichzeitig. „So können wir besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und auch die Wünsche der Eltern eingehen“, sagt Tanja Schüle. Außerdem haben die Kinder bei der Tagesmutter nur eine Bezugsperson. In der Kita müssen sich die Kleinen meistens an viele andere Kinder und mehrere Erzieherinnen gewöhnen.
Lange Zeit hatten Tanja Schüle, Nadine Da Silva und ihre Kolleginnen und Kollegen volle Wartelisten – ohne für sich werben zu müssen. Die positive Mund-zu-Mund-Propaganda reichte aus. Dabei spielte dem Berufsstand sicher auch in die Hände, dass Kitaplätze insbesondere für Kleinkinder in Stuttgart absolute Mangelware waren. Mittlerweile hat sich einiges geändert. „Unsere Wartelisten sind leer“, sagt Nadine Da Silva. Viele Tagesmütter und -väter bekommen ihre Plätze nicht mehr voll, was für sie existenzbedrohend ist.
Warum die Wartelisten der Tagesmütter leer sind
Die Stadt hat in den vergangenen Jahren massiv in den Ausbau der Kindertagesstätten investiert. Dies auch, weil Eltern seit 2013 einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz haben. Der Ausbau war also unumgänglich. Die Tagesmütter kritisieren jedoch, dass sie in die Berechnung, wie viele Kita-Plätze in der Landeshauptstadt fehlen, nicht einbezogen worden seien. Nun befürchten sie, dass zumindest in manchen Stadtteilen ein Überangebot entsteht. Hinzu kommt, dass die Zahl der Geburten rückläufig ist.
Eine Zäsur gab es Anfang 2024, als die Stadt Stuttgart die alleinige Trägerschaft für die Kindertagespflege auf den Caritasverband übertrug. Zumindest in der Anfangszeit funktionierte die Vermittlung zwischen Eltern, die händeringend einen Betreuungsplatz für ihr Kind suchten, und Tageseltern mit freien Plätzen nicht gut. In der Zwischenzeit fanden einige klärende Gespräche zwischen den Tagesmüttern, der Stadt und der Caritas statt. Unter anderem mit dem Ziel, dass die Kindertagespflege wieder sichtbarer wird, zum Beispiel auf der Homepage der Caritas. Mittlerweile hat sich die Situation deutlich verbessert.
Manche Eltern wissen nichts von Kindertagespflege
Dennoch erleben Tanja Schüle und Nadine Da Silva immer wieder, dass Eltern verzweifelt einen Kita-Platz suchen und noch nie etwas von Kindertagespflege gehört haben. Oder Eltern sind der Meinung, dass Kindertagespflege wegen der individuelleren Betreuung viel teurer ist als eine Kita, obwohl die Kosten vergleichbar sind. Oft wird der Kindertagespflege negativ angerechnet, dass es keine Vertretung gibt, wenn die Tagesmutter krank ist. Nadine Da Silva lässt das Argument nicht gelten. Tagesmütter seien selbstständig und könnten sich daher gar nicht viele Krankheitstage leisten. Hingegen seien die Kitas in der jüngeren Vergangenheit wegen des Personalmangels alles andere als verlässlich gewesen.
Um auf sich und die Vorteile der Kindertagespflege aufmerksam zu machen, sind die Tagesmütter und -väter in Stuttgart selbst aktiv geworden. Sie haben sich vernetzt. Mehr als 100 von ihnen sind in einer Whatsapp-Gruppe, um sich untereinander auszutauschen. Wenn jemand eine Elternanfrage bekommt, die er selbst nicht bedienen kann, gibt er diese weiter. Zudem hat Tanja Schüle zusammen mit den Tagesmüttern Melanie Wilke und Maria Klockner ein kleines Unternehmen gegründet. Gemeinsam haben sie eine Homepage gestaltet und informieren unter www.tagesmuetter-stuttgart.org über ihren Beruf, die Vorteile und freie Plätze. Tagesmütter, die dort noch nicht auftauchen, können sich melden.
„Wir möchten allen die Möglichkeit geben, auf sich aufmerksam zu machen. Auch denen, die keine eigenen Homepage oder einen Instagram-Kanal haben“, sagt Tanja Schüle. Mit Hilfe von verschiedenen Aktionen wollen sie und ihre Mitstreiterinnen die neue Internetseite bekannt machen. Sogar Werbung in örtlichen Medien haben sie gebucht. „Weil gute Betreuung kein Glücksfall sein sollte“, ist auf der Homepage zu lesen. Und weil Tanja Schüle, Nadine Da Silva und viele andere ihren Beruf bis zur Rente ausüben wollen. „Denn für mich ist es eine Berufung. Ich kann mir ein Leben ohne die Kleinen nicht vorstellen“, sagt Tanja Schüle. Nadine Da Silva ergänzt: „Tagesmutter zu werden, war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Beide wollen noch viele Jahre den Kindern, die ihnen anvertraut werden, ein kleines Paradies bieten.
Kindertagespflege
In Stuttgart werden Kindertagespflegepersonen, also Tagesmütter und Tagesväter, durch den Caritasverband im Auftrag der Stadt qualifiziert, begleitet und regelmäßig überprüft. Sie betreuen maximal fünf Kinder – in einer Großtagespflege sind es zehn – gleichzeitig bei sich zu Hause oder in angemieteten Räumen. Wer sein Kind zu einer Tagesmutter gibt, bekommt automatisch einen Platz in einer städtischen Kita, wenn der Nachwuchs das Kindergartenalter erreicht. Eltern müssen sich also keine Sorgen machen um die Betreuung im Anschluss an die Zeit bei der Tagesmutter.
Freie Plätze
Interessierte Eltern können sich auch bei der Caritas über die Möglichkeiten der Kindertagespflege, freie Plätze sowie das Anmeldeverfahren informieren. Alle Infos stehen im Internet unter www.caritas-stuttgart.de.