Betreuung an der Grundschule – darauf hat jeder Erstklässler ab 2026 einen Rechtsanspruch. Foto: picture alliance / dpa/Marijan Murat

Laut einer Bertelsmann-Studie fehlen in Baden-Württemberg tausende Betreuer zum Ausbau des Ganztagsangebots an Grundschulen. Was Experten von hier dazu sagen.

Baden-Württemberg muss sich laut einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung bei der Einführung der Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026 auf einen massiven Personalmangel einstellen. Je nachdem, wie stark der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von den in Frage kommenden Erst- bis Viertklässlern und ihren Eltern in Anspruch genommen wird, fehlen laut der Studie bis 2030 zwischen 6000 und 12 400 Betreuer im Südwesten. Soll für jedes anspruchsberechtigte Kind ein Platz vorhanden sein, müssten im Land nach den Berechnungen aus dem „Fachkräfte-Radar für Kita- und Grundschule 2022“ landesweit bis zu 190 000 Betreuungsplätze geschaffen werden. Orientiert man sich an der Teilnahmequote der ostdeutschen Länder von 86 Prozent – wären es laut den Berechnungen immer noch 130 000 Betreuungsplätze.

Was bedeutet der Rechtsanspruch?

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, der in den Jahren 2026 bis 2030 bundesweit für die jeweiligen Erstklässler eingeführt wird, umfasst längere Betreuungszeiten, als sie bisher in den meisten Bundesländern und auch in Baden-Württemberg üblich sind. Vereinbart ist, dass die ganztägige Betreuung der Grundschulkinder sich in normalen Schulwochen auf acht Zeitstunden an fünf Werktagen wöchentlich erstreckt. In zehn von 14 Ferienwochen ist dieser Betreuungsumfang ebenfalls garantiert.

Für Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Stiftung des Gütersloher Medienunternehmens, ist damit klar: „Baden-Württemberg kann die Umsetzung des Rechtsanspruchs nicht für alle Kinder bis 2030 stemmen, denn der Fachkräftebedarf ist bis dahin kaum zu decken.“ Das Land benötige doppelt- bis viermal so viele Betreuer, als die 3000 Personen, die laut Prognosen bis dahin ausgebildet sein sollen. „Baden-Württemberg muss gemeinsam mit allen Verantwortlichen sofort eine langfristige Fachkräfteoffensive auf den Weg bringen, damit zumindest im nächsten Jahrzehnt ausreichend Personal verfügbar ist.“

Wie sind die Reaktionen im Land?

Dass der Ausbau der Kinderbetreuung für Land und Kommunen eine Herausforderung darstellt, wird von den zuständigen Stellen in Baden-Württemberg seit langem eingeräumt. In der bisherigen Debatte wurde allerdings von Land und Kommunen dargelegt, dass ein Großteil der Eltern bisher keine volle Ganztagsbetreuung will, sondern kürzere Betreuungszeiten vorzieht.

Norbert Brugger, Bildungsdezernent des Städtetags, erklärte, dass er mit einem „Anwachsen des Anteils der Grundschulkinder bis 2026 landesweit von derzeit 53 Prozent auf siebzig bis achtzig Prozent“ rechnet. „Größere Städte erwarten teilweise noch höhere Prozentzahlen.“ Allerdings bezweifelt Brugger, dass es in der Fläche des Landes eine hohe Nachfrage nach dem durch den Rechtsanspruch garantierten Maximalangebot an Betreuung von acht Stunden täglich geben wird. „Selbst wenn nur relativ wenige Kinder zeitlich das ‚volle Programm’ des Rechtsanspruchs wahrnehmen sollten, wird es eine besondere Herausforderung, solch umfängliche Ganztagsangebote nach Bedarf flächendeckend einzurichten“, betont er.

„Die Erfüllung des Rechtsanspruches erscheint aus heutiger Sicht nicht möglich“, betonte der Gemeindetagspräsident Steffen Jäger, der wegen ungeklärter Finanz- und Personalfragen seit langem Kritik an der Einführung des Rechtsanspruchs übt. Die GEW-Landeschefin Monika Stein sagte, es sei völlig unklar, mit wem der Rechtsanspruch umgesetzt werden solle und forderte neue Studienplätze für Grundschullehrer. Die Gewerkschaft Verdi und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) dringen auf attraktive Arbeitsbedingungen.

Wie hoch ist der Bedarf in der Fläche?

„Rechtsanspruch“ auf Betreuung heißt nicht, dass jede der 2300 Grundschulen im Land ihren Schülern ab 2026 ein solches Angebot machen muss. „Das wird es nicht an jeder Schule mit zwölf Kindern pro Klasse geben“, hat Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) vor kurzem in einem Interview klargestellt.

Im Südwesten gibt es rund 800 kleine Grundschulen mit weniger als hundert Schülern. Im ländlichen Raum, wo ganztägige Betreuung bisher mangels Nachfrage wenig ins Gewicht fiel, erkennen Kommunalexperten mittlerweile auch einen Trend zu mehr Ganztag. Immer mehr Bürgermeister auch kleiner Kommunen sehen das offenbar mittlerweile als Teil der Zukunftssicherung für ihren Schulstandort und die Gemeindeentwicklung. Ob es für die flächendeckende Umsetzung des Rechtsanspruchs ausreicht, dass Nachbargemeinden sich über die Ansiedlung der Ganztagsangebote zu verständigen, gilt beim Städtetag mittlerweile als offene Frage. Es könne nötig werden, eine gesteuerte regionale Angebotsentwicklung auf Kreisebene zu etablieren, heißt es auf Anfrage. Im Herbst verhandeln Bund und Länder über die nächste Fördertranche.