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Wer einen Betreuungsplatz für sein Kind ergattert, kann sich glücklich schätzen. In vielen Städten und Gemeinden sind die Wartelisten lang.

Kreis Ludwigsburg - So wie Bietigheim-Bissingen geht es vielen Städten rund um Stuttgart: Neubaugebiete wie das Bogenviertel oder das Lothar-Späth-Carré werden weitere Bewohner in die boomende Stadt bringen. Außerdem steigt landesweit seit zwei Jahren stetig die Zahl der Kinder. Eine an sich erfreuliche Entwicklung, die aber die Kommunalpolitiker in den Rathäusern vor erhebliche Probleme stellt.

In Bietigheim-Bissingen fehlen laut einer Hochrechnung bis zum Jahr 2026 Kita-Plätze für 463 Kinder, in Ludwigsburg ist die Lücke bis Mitte der 2020er Jahre mit 700 Plätzen noch größer. Die Bietigheimer Verwaltung will jetzt Nägel mit Köpfen machen, denn laut Bürgermeister Joachim Kölz ist „rasches Handeln“ angesagt. 44 bis 50 Millionen Euro, so die Grobplanung, sollen in den kommenden zehn Jahren in Kita-Erweiterungen oder Neubauten gesteckt werden. „Infrastruktur folgt Einwohnerzahl“, bringt es der Oberbürgermeister Jürgen Kessing (SPD) auf den Punkt. Auch auf die Schulen wird sich der Kinderreichtum auswirken.

Kleine Bietigheimer sind groß im Kommen

In Bietigheim-Bissingen ist die Lage besonders brenzlig, weil die kleinsten Bietigheimer groß im Kommen sind: Während in ganz Baden-Württemberg bei der Zahl der Kinder unter zehn Jahren bis zum Jahr 2035 ein Zuwachs von 4,8 Prozent prognostiziert wird und es im Landkreis Ludwigsburg 5 Prozent sind, kommt das Statistische Landesamt für Bietigheim-Bissingen auf fast die doppelte Anzahl: Auf satte 9,4 Prozent. „Bei den unter Sechsjährigen legen wir sogar um 10,7 Prozent zu“, sagt Kölz. Wenn nichts geschehe, fehlten der Stadt im Jahr 2036 bereits 554 Plätze. Der Masterplan lautet deshalb: Bis 2028 sollen 449 neue Kita-Plätze aus dem Boden gestampft werden. In der Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause machten die Räte den Weg grundsätzlich frei und segneten die ersten Vorhaben – einen Kita-Umbau und einen Neubau – ab.

Ähnlich ist es in Ludwigsburg. „Die Eltern erwarten ab einem Jahr einen Betreuungsplatz“, sagt der Sozialbürgermeister Konrad Seigfried. Die Barockstadt könne die Nachfrage nicht mehr decken, obwohl der Gemeinderat auch hier viele neue Einrichtungen auf den Weg gebracht hat, zudem setzt man auf „Kindernester“, also städtische Räume, in denen sich Tagesmütter oder Erzieher selbst organisieren. In Böblingen, zum Vergleich, gibt keine Warteliste, aber es fehlen Plätze für 130 Kinder.

Auch kleinere Städte wie Korntal-Münchingen haben Engpässe bei Betreuungsplätzen für Kleinkinder. Die Abteilungsleiterin Barbara Schäffler meldet 18 Kinder auf der Warteliste, für 2019 wird es enger, denn die Doppelstadt am Rande von Stuttgart zieht mit neuen Wohngebieten kräftig Einwohner an. Oft sind es Familien.

In Stuttgart ist die Lage seit Jahren dramatisch

In der Landeshauptstadt ist die Lage seit Jahren dramatisch. Im vergangenen Jahr fehlten in Stuttgart fast 3500 Plätze für Kinder unter drei. Trotz Investitionen von 54 Millionen Euro in den nächsten Jahren steigt der Versorgungsgrad nur langsam auf das angestrebte Ziel von 52 Prozent.

Einige Kommunen haben frühzeitig vorgesorgt, etwa Schorndorf im Rems-Murr-Kreis. „Wir haben sogar noch Plätze in einigen Einrichtungen frei“, erklärt der Fachbereichsleiter Markus Weiß. Engpässe gebe es bei Ganztagesplätzen für Babys. Die Stadt hat schon vor einigen Jahren viele Bauprojekte begonnen, bevor der Ansturm durch den Rechtsanspruch kam. Weiß sagt: „Deswegen haben wir bislang auch noch keine Eltern, die ihren Betreuungsplatz einklagen wollen.“

Ähnlich ist es in Sindelfingen (Kreis Böblingen), wo der OB Bernd Vöhringer (CDU) stolz vermeldet: „Wir sind eine Familienstadt und decken den Bedarf an Plätzen vollständig.“ Allerdings plagt die Städte ein weiteres Problem: Der dramatische Mangel an Fachkräften. So vermeldet Sindelfingen trotz hohem Personalstand vakante Stellen. Schorndorf hat extra ein Fortbildungsprogramm aufgelegt, das sich sonst nur Großstädte leisten, wie Markus Weiß erklärt: „Wir müssen um jeden Mitarbeiter kämpfen.“ In Stuttgart können 520 Kita-Plätze nicht „bespielt“ werden, weil es an Erzieherinnen dafür fehlt.

Ministerin Susanne Eisenmann: „Die Politik hat das Thema auf dem Schirm“

Landesweite Zahlen gibt es kaum, weil jeweils nur die einzelnen Kommunen zuständig sind und Statistiken erheben. Die Landespolitik habe das Thema auf dem Schirm, wie die Ministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf Anfrage mitteilt. Das Kultusministerium verhandele für die Landesregierung derzeit einen „Pakt für gute Bildung und Betreuung“ mit den Kommunen, den freien Trägern und der Kindertagespflege. Eisenmann: „Er soll substanzielle Qualitätsverbesserungen im frühkindlichen Bereich bringen.“ Etwa bei der Sprachförderung. Zudem werde die Landesförderung für Kleinkindbetreuung von 824 auf 932 Millionen Euro erhöht.

Manche Kommunen gehen einen ganz anderen Weg. Das kleine Hemmingen etwa im Kreis Ludwigsburg leistet sich seit Jahren den Ganztagesbetrieb in allen Einrichtungen, dank guter Steuereinnahmen durch eine Porsche-Niederlassung. Nun werden die Gebühren aber deutlich erhöht – und die Ganztagesbetreuung zurückgefahren. Die Begründung von Hauptamtsleiter Ralf Kirschner: „Das Angebot wird zum Teil gar nicht genutzt.“