Von Kinderarmut sind in Deutschland mehr Kinder betroffen als bisher angenommen (Symbolbild). Foto: dpa

Etwa 4,4 Millionen Kinder sind in Deutschland von Armut betroffen. Das sind deutlich mehr als bisher angenommen. Politiker und Sozialverbände zeigen sich erschrocken.

Berlin - Die Kinderarmut in Deutschland ist nach Berechnungen des Kinderschutzbundes (DKSB) deutlich höher als bisher angenommen - weil viele Familien ihren Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder Wohngeld nicht wahrnehmen.

Etwa 4,4 Millionen Kinder seien von Armut betroffen, 1,4 Millionen mehr als bisher bekannt, erklärte der Verband am Mittwoch. Er bekräftigte die Forderung nach einer Kindergrundsicherung, die auch von Grünen und Linken erhoben wurde. Für drei Millionen Kinder zahlt der Staat Sozialleistungen, damit ihr Existenzminimum gesichert ist, so der Kinderschutzbund.

Würden aber auch diejenigen Familien hinzugezählt, die ihren Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder Wohngeld nicht wahrnehmen, sei die Zahl der in Armut lebenden Kinder noch deutlich höher: „Denn viele Familien beantragen Leistungen erst gar nicht, die ihnen aufgrund ihres geringen oder fehlenden Einkommens eigentlich zustehen.“ Ergänzende Leistungen bei Erwerbstätigkeit, sogenannte aufstockende Hartz-IV-Leistungen, nehmen geschätzt nur etwa 50 Prozent der tatsächlich Berechtigten in Anspruch, erklärte der Kinderschutzbund mit Verweis auf eine Regierungsantwort auf eine Grünen-Anfrage.

Bürokratischer Aufwand ist extrem hoch

Das betreffe rund 850.000 Kinder unter 18 Jahren, die bislang nicht als arm galten. Dazu kommen nach Berechnungen des Verbands noch einmal 190.000 Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind und trotzdem nicht mit anderen Leistungen aufstocken. „Oft liegt es daran, dass die Eltern mit den bürokratischen Abläufen überfordert sind oder sich schlichtweg dafür schämen“, erklärte DKSB-Präsident Heinz Hilgers. Bei einzelnen Leistungen liege die Nicht-Beantragung sogar bei bis zu 70 Prozent, etwa beim Kinderzuschlag.

Den Zuschlag nähmen nur 30 bis 40 Prozent der Berechtigten in Anspruch. Davon betroffen seien mindestens weitere 350.000 Kinder unter 18 Jahren. „Zählen wir alles zusammen, kommen wir konservativ gerechnet auf eine Dunkelziffer von 1,4 Millionen Kindern“, so Hilgers. „Alle diese Kinder sind offiziell nicht arm, doch sie fallen durch das Raster unseres Sozialstaates, weil der Dschungel der Leistungen für viele Eltern undurchdringlich ist.“ Kurzfristig müsse bei der jetzt anstehenden Reform des Kinderzuschlags im Mittelpunkt stehen, dass jedes Kind, das Anspruch auf diese Leistung hat, diese auch erhalte, forderte Hilgers. Flankiert werden müsse das mit einer Reform des Bildungs- und Teilhabepakets, um zum Beispiel den Schulbedarf von Kindern zu sichern.

Kampf gegen Kinderarmut muss absolute Priorität haben

Linken-Chefin Katja Kipping sprach von einem „Armutszeugnis für die Bundesregierung“. Der Kampf gegen Kinderarmut müsse endlich absolute Priorität haben, Kinder und Jugendliche brauchten eine „ausreichende Kindergrundsicherung in Höhe von rund 600 Euro“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte die Bundesregierung auf, dringend die Reform des Kinderzuschlags anzugehen, wenn „70 Prozent der Eltern wegen bürokratischer Hürden vor einer Antragstellung zurückschrecken“. Kindergelderhöhungen reichten als Familienförderung nicht aus, „wir brauchen eine Kindergrundsicherung“.

Der Sozialverband VdK nannte es „erschreckend, dass in einem reichen Land wie Deutschland 4,4 Millionen Kinder von Armut betroffen sind“. Die Bundesregierung müsse zielgerichtet diejenigen unterstützen, „die unsere Zukunft sind“, forderte VdK-Präsidentin Verena Bentele.