Kinderärzte haben alle Hände voll zu tun. Foto: dpa/Britta Pedersen

Eltern, die einen Mediziner für ihre Sprösslinge benötigen, müssen im Kreis Ludwigsburg mitunter viel Geduld aufbringen. Die Ärzte haben ordentlich zu tun. Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache.

Kreis Ludwigsburg - Dietmar Huj ist froh, dass seine hochschwangere Tochter einen Kinderarzt gefunden hat. Endlich. Denn die Suche – besser: Odyssee – war wider Erwarten alles andere als einfach, wie der Korntal-Münchinger berichtet. Er hatte ihr geraten, nach Schwieberdingen zu gehen, zu dem Kinderarzt, bei dem auch schon die Tochter war – zumal die Fahrzeit mit fünf bis zehn Minuten kurz sei. „Dort hieß es, dass er erst einmal die Kinder aus dem Ort aufnehmen müsse, meine Tochter sich aber melden solle, wenn sie keinen Arzt findet“, erzählt Dietmar Huj. Er wohnt wie die 27-Jährige im Ortsteil Münchingen. Also ging die Suche weiter.

Im Ort beziehungsweise in Korntal wurde sie fündig. Dort sitzt der einzige Kinderarzt der knapp 20.000-Einwohner-Stadt, den sie vor rund vier Wochen kontaktierte. „Man sagte meiner Tochter, dass ja noch Zeit sei und sie sich schriftlich bewerben solle“, sagt Dietmar Huj. Was sie aber dann doch nicht wollte, zumal jener Arzt auch Absagen erteile, wie er gehört habe. Nachfragen unserer Zeitung ließ der Kinderarzt unbeantwortet. Stattdessen sprach die 27-Jährige mit ihrer Hebamme und bemühte das Ärzteverzeichnis. Sie erfuhr schließlich von einer Bekannten von deren Kinderarzt in Gerlingen. Zu diesem geht sie künftig. Er finde es „fragwürdig“, dass Ärzte Patienten ablehnen, sagt der Münchinger Huj. Er bekomme von vielen Menschen aus seinem – auch Stuttgarter – Umfeld mit, dass es ein „Riesenproblem“ sei, unterzukommen. „Das kommt unterlassener Hilfeleistung gleich“, findet Dietmar Huj. Aus seiner Sicht sei der Landkreis eindeutig „chronisch unterversorgt“.

Aus unserem Plus-Angebot: In manchen Kreisen werden keine Neugeborenen aufgenommen

Karin Bender kennt das Problem. Die Ludwigsburger Ärztin ist im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) die Obfrau für den Landkreis. „Das Problem der schwierigen Suche nach einem Kinderarzt ist nicht nur im Strohgäu ein Problem, sondern bundesweit“, sagt die 47-Jährige. Ganze Landkreise seien davon betroffen, „Ludwigsburg zieht nach“. Es gebe seit einigen Jahren mehr Kinder, aber nicht mehr Kinderärzte. Und die hätten alle ausreichend zu tun.

Versorgungsgrad ist „grober Anhaltspunkt“

Die Gründe sind vielfältig. Einzelne Kinder, sagt Bender, beanspruchten einen Arzt mehr als früher – sei es wegen mehr Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen. Auch gingen viele Kinder in jüngerem Alter in die Kita. Werden sie krank, was gerade in den ersten Lebensjahren oft passiert aufgrund des Kontakts mit vielen Gleichaltrigen, erhalten berufstätige Eltern eine Krankmeldung nur mit Termin. Die Ärzte, so Bender, versuchten in der Regel Patienten aus dem Einzugsgebiet aufzunehmen, vor allem Neugeborene. „Das klappt aber nicht immer“, sagt Bender. Wechsler etwa wegen Umzugs hätten es besonders schwer. „Wir sind am Limit“, sagt Karin Bender – obwohl der Landkreis mit Kinderärzten auf dem Papier überversorgt ist. Rein rechnerisch.

Laut den Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg liegt der Versorgungsgrad bei rund 116 Prozent, sagt der Sprecher Kai Sonntag. Der aktuelle Versorgungsbericht listet im Kreis 57 Kinder- und Jugendärzte für die mehr als 96.130 Kinder im Alter bis 18 Jahren auf. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Berlin erlassene Bedarfsplanungsrichtlinie fußt auf Erkenntnissen der 1990er Jahre – und berücksichtige die aktuelle Situation nur rudimentär, sagt Kai Sonntag. Darüber hinaus behandelten Kinderärzte, die neu ins System kommen, weniger Patienten als die, die es verlassen. „Die Systematik erfordert außerdem, dass sich Eltern bei der Arztsuche im ganzen Kreis bewegen“, sagt Kai Sonntag. Heißt: Sie hätten keinen Anspruch darauf, dass der Arzt im Ort ihr Kind behandelt. Der Versorgungsgrad sei ein „grober Anhaltspunkt“.

Rund um die Uhr schuften will keiner mehr

Einer, der aber dazu führt, dass sich im Kreis Ludwigsburg aktuell kein weiterer Arzt niederlassen darf. Bei der Verteilung der Ärzte richte man sich nach der bestehenden Struktur, sagt Sonntag. Gleichwohl wird den Ärzten nicht vorgeschrieben, wo sie sich niederlassen – was zu gut und weniger gut versorgten Regionen innerhalb eines Landkreises führen kann. Ob es tatsächlich zu wenig Kinderärzte gibt, sei nicht berechnet, sagt der KV-Sprecher. Ohnehin sei es objektiv schwer zu beantworten, was eine ausreichende Versorgung ist.

Doch selbst wenn es freie Arztsitze gibt, wie das in manchen Landkreisen der Fall ist – „man hat keine Garantie, dass sich ein Arzt auch niederlässt und eine Praxis übernimmt“, sagt Kai Sonntag. Die Ludwigsburger Kinderärztin Bender nennt einen Grund: „Die Medizin wird weiblicher.“ Viele Ärztinnen wöllten lieber angestellt oder in Teilzeit arbeiten, statt eine Praxis zu übernehmen und fast rund um die Uhr zu schuften. Das gelte aber auch für vor allem junge Ärzte – und ist bei Karin Bender nicht anders: Sie teilt sich eine Vollzeitstelle mit ihrer Kollegin. „Wir sind zwei Ärztinnen mit einem Arztsitz“, sagt die 47-Jährige, die auch feststellt: „Den klassischen Typ Einzelpraxis gibt es kaum noch.“

Mittlerweile hätten fast alle Praxen Angestellte. Sie liebe ihren Beruf, sagt Karin Bender. Doch sie hat auch einen großen Wunsch: „Weniger Bürokratie wäre schön.“ Denn dann hätte sie mehr Zeit, noch mehr kleine Patienten zu versorgen.

Wo gibt es Entlastung für Kinderärzte?

Für Ärzte Die praktizierenden Kinderärzte bangen um den Nachwuchs. Zudem sind im Kreis Ludwigsburg viele bereits älter und suchen einen Nachfolger. Laut dem Versorgungsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg sind ein Viertel der Kinderärzte 60 Jahre und älter. Um den Jüngeren die Arbeit zu erleichtern, wurde zum Beispiel an der Kinderklinik in Ludwigsburg eine Notfallpraxis eingerichtet. Sie ist an Werktagen von 18 bis 22 Uhr und an Wochenenden von 8 bis 22 Uhr mit den niedergelassenen Ärzten besetzt. So bleibt der Arbeitseinsatz am Abend vertretbar – die allabendliche Telefonbereitschaft entfällt.

Für Eltern Die bundesweit einheitliche Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts ist 11 61 17. Der Patientenservice hilft auch bei der Terminvermittlung.