Immer früher treten kleine Kinder in den Kontakt mit dem PC. Foto: dpa

Mehr als 70 Prozent der 12-bis 19-Jährigen haben einen eigenen Computer mit Internetzugang.

Stuttgart - Mehr als 70 Prozent der 12-bis 19-Jährigen haben einen eigenen Computer mit uneingeschränktem Internetzugang. Damit wächst die Gefahr, sich in der virtuellen Welt zu verlieren. Was können Eltern dagegen tun? Und ab welchem Alter sollte man die PC-Nutzung erlauben?

"Mein Schwager (18) verlässt sein Zimmer nur noch, um zur Schule zu gehen. Die Kommunikation mit seinen Eltern läuft nur noch über Zettel. Als sie ihm neulich das Internet abgeschaltet haben, hat er mit Selbstmord gedroht." (Janet im Selbsthilfeforum http://www.rollenspielsucht.de)

Auch wenn nicht alle Kinder und Jugendlichen gleich süchtig nach Computerspielen werden, sobald sie am PC sitzen, sind immer mehr Eltern überfordert damit, sinnvolle Regeln für virtuelle Welten aufzustellen, von denen sie selbst oft wenig verstehen. "Viele Eltern akzeptieren die Nutzung auch, weil sie denken: Internetkompetenz ist wichtig fürs Berufsleben", sagt Renate Schepker, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Zentrum für Psychiatrie Weissenau. Sie beschäftigt sich aus entwicklungspsychologischer Sicht damit, ab wann Kinder Zugang zum Computer und insbesondere zu Spielen bekommen sollten.

Das richtige Alter: "Kinder unter zehn Jahren sollten keinen eigenen PC im Kinderzimmer haben und nicht allein im Netz surfen", sagt Schepker. Denn für einen souveränen Umgang mit dem Computer müssen gewisse Fähigkeiten entwickelt sein: Kinder müssen Spiel und Realität unterscheiden können, "sonst verstehen sie nicht, dass es im Chat falsche Identitäten gibt". Erst im Grundschulalter lernen Kinder, visuelle Dinge schnell zu verarbeiten. Wer gute und richtige Inhalte im Internet entdecken will, braucht zudem ein gewisses kognitives und moralisches Urteilsvermögen, auch um beispielsweise sexistische Rollenklischees oder die Verwendung von Gewalt in Computerspielen entsprechend reflektieren zu können. Und: "Wenn Kinder zu früh virtuelle Welten kennenlernen, verlernen sie die Fähigkeit, ihre eigene Fantasie zu entwickeln."

Außerdem konkurriert die Zeit vor dem Computer immer mit anderen Dingen: Wer vor dem PC sitzt, macht dort in der Regel keine Hausaufgaben und bewegt sich in der Zeit auch nicht draußen. "Motorisch sollte ein Kind so weit entwickelt sein, dass es auf einen Baum klettern kann, bevor es einen Computer braucht", sagt Schepker.

Der richtige Umgang: Eltern achten darauf, wo Kinder hingehen, mit wem sie spielen und was sie im Fernsehen anschauen. "Das gleiche Niveau an Orientierung, Führung und Aufsicht sollten sie auch für die PC-Erfahrungen der Kinder bieten", sagt Schepker. Computerspiele sollte man gemeinsam auswählen, sich die Spiele von den Kindern erklären lassen und auch mal mitspielen. "Je größer das Interesse der Eltern daran ist, desto uninteressanter werden die Spiele oft für die Kinder."

Die Altersfreigabeempfehlungen der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) halten dagegen bereits Viertklässler nicht davon ab, die Spiele trotzdem - oder gerade deswegen - zu spielen. Aus einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen (KFN) von 2008 geht hervor, dass 33 Prozent von 1000 befragten Viertklässlern schon einmal ein Spiel ab 16 Jahren und 18 Prozent schon einmal ein Spiel ab 18 Jahren gespielt haben.

Die richtige Zeit:Mehr als sechs Stunden verbringen 15-Jährige jeden Tag mit elektronischen Bildschirmmedien. Jungs in diesem Alter spielen davon durchschnittlich 141 Minuten täglich am Computer, Mädchen 56 Minuten. Diese Zahlen stammen aus einer Befragung von 15.000 Schülern durch das KFN. Geht es nach der Suchtforschungsgruppe der Berliner Charité, reicht es bereits, wenn Schüler mehr als zwei Stunden an zwei bis drei Nachmittagen in der Woche mit Bildschirmspielen verbringen, um sie als exzessive Spieler einzuordnen. "Bedenklich wird es, sobald die Spieler andere Freizeitaktivitäten vernachlässigen, immer öfter und länger spielen, während der Schulzeit über die Spiele nachdenken und es in der Familie oder mit Freunden deswegen schon mal Streit gab", sagt Schepker.

Die vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend ins Leben gerufene Initiative "Schau hin" empfiehlt für Kinder zwischen vier und sechs Jahren höchstens 30 Minuten täglich am Computer, und zwar unter Aufsicht, für Sieben- bis Zehnjährige eine Dreiviertelstunde und für 11- bis 13-Jährige eine Stunde. Diese Medienzeiten sollten fest vereinbart und kontrolliert werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weist darauf hin, dass viele PC-Spiele ein Limit haben, mit dem man die Spielzeit begrenzen kann.

Die richtige Hilfe: Haben Eltern das Gefühl, ihr Kind verbringt zu viel Zeit am Computer, können sie sich den Tagesablauf dokumentieren lassen - mit Zeiten für Schule, Sport, reale Freunde und PC-Spiele, um ein Bewusstsein für die Nutzung zu schaffen. Auch schlechter werdende Schulleistungen können ein Hinweis darauf sein, dass das Kind zu wenig Zeit zum Lernen hat oder sich schlecht konzentrieren kann. "Die Eltern sollten sich auch selbst hinterfragen, ob es gemeinsame Mahlzeiten in der Familie gibt, gemeinsame Freizeitaktivitäten als Alternative zum Computer", sagt Schepker. Ärzte können die betroffenen Computerhocker auch auf körperliche Fitness untersuchen. Das wirke besonders bei Jugendlichen oft heilsam. Eine letzte Möglichkeit, wenn bei den Betroffenen keine Besserung und zudem ein sozial auffälliges Verhalten auftritt (Depressionen, Zwang, soziale Phobie), ist eine stationäre Behandlung.

"Tipps zum Aufhören: Spiel löschen, CD verbrennen, mit jemandem darüber reden, Hobbys suchen, neue Freunde kennenlernen." (Carlos im Selbsthilfeforum http://www.rollenspielsucht.de).