„Kinder mögen es nicht, wenn man ihnen aufs Maul schaut“, sagt Sabine Ludwig Foto: Paulus Ponizak

Vor dreißig Jahren wurde ihre erste Kindergeschichte im Radio gesendet. Heute ist Sabine Ludwig eine der erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen Deutschlands. Manchmal ertappe sie sich dabei, sagt sie am Telefon, dass sie denke: „Was mache ich, wenn ich groß bin?“

Stuttgart - Die Autorin Sabine Ludwig liest bei den Kinder- und Jugendbuchwochen, die an diesem Mittwoch beginnen

Frau Ludwig, Ihr neues Buch schmückt ein Aufkleber, der Sie als Bestsellerautorin ausweist – eine Ehre für eine Kinderbuchautorin?
Den mache ich immer ab; ich finde ihn ehrlich gesagt ein bisschen peinlich. Heute wird alles nach Verkaufszahlen beurteilt und nach Listen, die zum Teil auf merkwürdige Weise zustande kommen. Eine Zahl, die nirgends einfließt, ist die der Bücher, die in Bibliotheken ausgeliehen werden. Ich bin oft dort für Lesungen, da heißt es immer: Frau Ludwig, wir wollten gerne Ihre Bücher ausstellen, aber die sind alle ausgeliehen. Das finde ich viel schöner als so einen Aufkleber.
Wie schwierig ist es, Themen zu finden, die bei jungen Menschen so gut ankommen?
Das versuche ich erst gar nicht; ich schreibe immer nur über das, was mich selbst interessiert. Ein wichtiges Thema ist die Schule. Das ist ein Stoff, der Kinder immer beschäftigen wird. Was mich auch umtreibt sind Kinder, deren Eltern getrennt leben – ein trauriges Kapitel, das ich mit Humor zu vermitteln versuche. Ich will Kindern zeigen, dass eine Scheidung schrecklich ist, aber dass sie dem nicht hilflos ausgeliefert sind.
Sind Sie selbst gerne zur Schule gegangen?
Nein, ich habe die Schule gehasst – vom ersten bis zum letzten Tag. Dann bin ich Lehrerin geworden, weil ich es besser machen wollte. Ich war aber nur ein Jahr an der Schule, weil damals wenig Lehrer angestellt wurden – dieses eine Jahr wäre auch Stoff für ein Buch, allerdings nicht für Kinder. Es war absurd, was ich da erlebt habe und wie ich geheilt wurde vom Wunsch, Lehrerin zu werden. Meine Tochter hatte leider auch keine schönen Erlebnisse in der Schule. Heute bin ich oft für Lesungen an Schulen und sehe da so einiges, was zum Beispiel in die Reihe der Miss-Braitwhistle-Bücher einfließt.
Reichen diese Lesungen, um zu erspüren, wie junge Menschen ticken und sprechen?
Manche Kollegen versuchen, die Sprache von Kindern und Jugendlichen nachzuahmen, aber das funktioniert nicht. Wenn ihr Buch erscheint, hat sich die Sprache längst wieder geändert. Und es gibt große regionale Unterschiede, in Berlin sprechen Kinder ganz anders als in Stuttgart. Deshalb versuche ich das erst gar nicht. Die Kinder in meinen Büchern sprechen auch flapsig, aber ich meide Modewörter und will mich nicht verbiegen. Die Kinder mögen es auch nicht, wenn man ihnen aufs Maul schaut.
Trotzdem: Wie wissen Sie, welche Dinge junge Menschen umtreiben?
Als ich die Miss-Braitwhistle-Reihe geschrieben habe, in deren Mittelpunkt eine vierte Klasse steht, da war ich nicht mehr knackfrisch und hatte auch kaum noch privaten Kontakt zu Kindern in diesem Alter. Es war ein Versuchsballon: Ich hatte die Idee, war aber sehr unsicher, wie Viertklässler heute ticken, und sehr überrascht, wie gut die Geschichten ankamen. So unterschiedlich sind die Gefühle von Kindern früher und heute gar nicht. Zu verstehen, was in der Schule und zwischen Freunden abläuft, ist gar nicht so schwierig, wenn man das Kind in sich bewahrt hat.
„Hilfe, mein Lehrer geht in die Luft“ ist das zweite Abenteuer von Felix Vorndran. Hatten Sie die Fortsetzung von Beginn an geplant oder kam die Idee durch die Verfilmung von „Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft“?
Ich hatte immer gesagt, dass es keinen zweiten Band geben würde, da ich mit der Geschichte komplett abgeschlossen hatte. Nach dem Film wurde über eine Fortsetzung nachgedacht. Es gab viele Gespräche und Exposés und irgendwann hatte ich so viele Gedanken investiert, dass ich diesen zweiten Teil dann auch schreiben wollte.
Felix ist ein Jahr älter geworden. Werden Sie ihn weiter begleiten – in pubertäre Turbulenzen zum Beispiel?
Auf keinen Fall. Für mich hört das Alter, das mich als Autorin interessiert, mit der Pubertät auf. Sie macht mir die Kinder fremd. Ich fand die Pubertät bei mir selbst und auch bei meiner Tochter eher schwierig. Es ist eine Phase des Umbruchs. Mein Lieblingsalter ist zwischen zehn und zwölf, da versetze ich mich am liebsten hinein.
Was macht dieses Alter so attraktiv für Sie?
Da sind Kinder noch bei sich und haben noch nicht diese ganzen Ängste. Gerade als Mädchen hat man eine positive Form von Selbstbewusstsein und muss nicht immer überprüfen: Wie sehe ich aus? Werde ich von den anderen akzeptiert? Der soziale Druck, der ja immer früher beginnt, ist noch nicht so stark in diesem Alter. Und es gibt zwischen Jungen und Mädchen noch Freundschaften, die unbelastet sind von erotischem Geplänkel. Solche Freundschaften, die es in vielen meiner Bücher gibt, sind etwas Schönes.
Haben Sie beim Schreiben eine Geschlechter-Zielgruppe vor Augen und sagen: Das wird ein Buch für Mädchen, das eines für Jungs?
Nein. Ich bin erschüttert, dass es jetzt wieder Bücher für Jungs oder Mädchen gibt. Zu meiner Zeit bekam ich in der Bibliothek nur Mädchenbücher, ob ich wollte oder nicht, und die waren immer sehr langweilig. Ich dachte, dieses Mädchen-Jungs-Ding wäre endlich überwunden – und plötzlich sind die Bücher wieder knallhart eingetaktet. Schon die Covergestaltung folgt einer Geschlechtertrennung, die wir eigentlich überwunden hatten: rosa und Glitzer für die Mädchen, für die Jungs Düsteres. Ich finde das fatal, wenn mich Kinder nach einer Lesung fragen: Ist das ein Buch für Jungs oder Mädchen?
Felix ist ein komplexer Charakter, er hat jede Menge Probleme – mit Mathe, den Mitschülern, den geschiedenen Eltern, seiner besten Freundin Ella. Wollen Kinder ihren Helden nicht eine Spur unfehlbarer?
Superhelden haben mich noch nie interessiert, das sind die langweiligsten Figuren überhaupt. Mir ist wichtig, einen Charakter zu erzeugen, der sympathisch ist – auch deshalb, damit man mit ihm mitleiden will, damit man nachvollziehen kann, wie er sich fühlt. Felix ist in diesem Buch sehr gebeutelt, ständig passiert ihm etwas Schreckliches. Dass er dabei doch intakt und bei sich bleibt, hat sich beim Schreiben so ergeben, ist aber ein wichtiger Zug dieses Charakters.
Und woran schreiben Sie derzeit?
An einem klassischen Krimi für Kinder, der in England spielt. Ich war 2016 in Cornwall und bin da zu einem Buch inspiriert worden.
Sie übersetzen ja auch aus dem Englischen. Täuscht der Eindruck oder gibt es immer mehr Lizenztitel? Wie wichtig ist es für Kinder, dass sie Bücher lesen, die in einem vertrauten Umfeld spielen?
Es ist ein interessantes Phänomen, dass es so viele Übersetzungen aus dem Angelsächsischen gibt. Als Romanistin fällt mir auf, dass ganz wenige Kinderbücher aus dem Französischen übersetzt werden, dabei gibt es dort viele Neuerscheinungen. Aber das Schulsystem in Frankreich ist so anders, dass es nicht übertragbar ist. Durch die vielen Fernsehserien, die auch bei uns zu sehen sind, ist uns das amerikanische System geläufiger und auch der Transport von Büchern leichter. Ich übersetze zwischen dem eigenen Schreiben zwar sehr gern; aber ich sehe es auch sehr kritisch, dass es sich die Verlage leicht machen, indem sie Erfolgstitel aus dem Ausland für teures Geld einkaufen. Wenn man sich die Nominierungen zum Deutschen Kinder- und Jugendbuchpreis anschaut, dann handelt es sich zu 80 Prozent um Lizenztitel. Dabei gibt es hier viele junge Autoren, denen man mehr zutrauen sollte.