Wie reagieren Kinder, wenn sie vom Märchen der Mythen an Weihnachten erfahren? Foto: dpa

Alle Jahre wieder kommen Christkind, Weihnachtsmann und Nikolaus – so erzählen es jedenfalls Eltern ihren Kindern. Wie geht man mit solchen Mythen um? Ein Experte gibt Tipps.

Stuttgart - Veronika Kreidlers Sohn ist sieben Jahre alt. Am Morgen des 6. Dezembers strahlen seine Augen vor Freude: Der Nikolaus war da, ist extra für ihn gekommen. Mandarinen, Erdnüsse und Spekulatius hat er gebracht. Er ist sich ganz sicher: Der Nikolaus existiert. Ganz egal, wie er in das Haus gelangt ist, ob durch den Kamin oder ein offenes Fenster – jedes Jahr awird er am 6. Dezember vom Nikolaus und dann an Heiligabend vom Weihnachtsmann beschenkt. Schließlich sind es ja seine Eltern, die ihm das erzählt haben. Der Ursprung dieser der Nikolaus-Erzählung liegt weit zurück und stammt aus der heutigen Türkei. Dort, in Myra, lebte im dritten und vierten Jahrhundert der Bischof Nikolaus. Der Legende nach war er reich und half den Bedürftigen.

Auch bei der Süßwarenindustrie sind Nikolaus und Weihnachtsmann beliebt – zumindest in seiner Schokoladenform, in der er jedes Jahr im Herbst die Regale in den Supermärkten füllt. Laut dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) produzierte die deutsche Süßwarenindustrie im Jahr 2017 rund 143 Millionen Schoko-Nikoläuse und Weihnachtsmänner.

Schusseliger Vater verrät zu viel

„Durch die Kommerzialisierung hat sich in den letzten Jahren die soziale Funktion der Mythen stark verändert“, sagt Michael Günter (62), Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychatrie und Psychotherapie des Klinikum Stuttgart. „Früher waren der Nikolaus und andere Mythen sehr stark in religiösen Ritualen und im religiösen Bedeutungszusammenhang verankert. Mittlerweile haben sich diese Figuren durch die Kommerzialisierung und Globalisierung aus der Religion gelöst. Sie wurden, wie vieles andere auch, säkularisiert.“ Auch das Verhalten der Eltern habe sich geändert: „Früher haben die Erwachsenen sehr viel dichter gehalten, heute erzählen viele Eltern ihren Kindern vom Nikolaus und Weihnachtsmann mit einem Augenzwinkern. Im Alter von vier bis sechs Jahren erkennen Kinder das Spiel“, sagt der 62-Jährige.

Ein Beispiel dafür: Ein schusseliger Vater fordert sein Kind auf, sich bei der Oma für das Geschenk zu bedanken – obwohl er dem Kind erklärt hatte, dass die Geschenke vom Nikolaus und Weihnachtsmann kommen würden. Lügen Eltern also ihre Kinder an? Günter: „Ich würde solche Geschichten nicht als Lügen bezeichnen, sondern als Spiel mit etwas Zauberhaftem, was seinen Platz im Erleben der Kinder und der Erwachsenen haben muss.“

Fachmann: Inszenierungen sind wichtig

Aber wie gehen Kinder mit der Erkenntnis um, dass entgegen der Aussagen ihrer Eltern – weder Nikolaus noch Weihnachtsmann existieren? „Die Reaktionen hängen von Entwicklung und Persönlichkeit des Kindes ab“, sagt Günter. „Bei dem einen Kind überwiegt vielleicht die Enttäuschung über die nüchterne Realität. Ein anderes Kind fühlt sich durch diesen Erkenntnisgewinn stolz, weil es die Erwachsenen durchschaut hat und sich deshalb älter vorkommt.“ Die Kinder würden aber trotzdem begeistert an dem Spiel teilnehmen, „weil sie weiterhin den Zauber genießen wollen“, sagt Günter. „Und die Eltern sollten das Spiel auch mitspielen“, fügt er hinzu.

„Inszenierungen wie etwa der Auftritt eines verkleideten Nikolaus mit langem Bart, Umhang und einer Mitra sowie mit einem Sack voll Geschenken und Nüssen sind für Kinder wichtig“, betont Günter. Er ergänzt: „Kinder können sich so innerhalb ihrer Kultur mit anderen über gemeinsame Erfahrungen verständigen.“ Wie sich Eltern verhalten sollten? „Sie sollten ihren Kindern Mythen und Märchen erzählen, aber mit einem Augenzwinkern.“ Außerdem wichtig sei die Inszenierung zur Veranschaulichung der Mythen: „Dadurch entsteht für die Kinder über gemeinsame Rituale eine magische Erlebniswelt, die aus der nüchternen Realität des Alltags entrückt“, sagt Günter und ergänzt: „Vor allem Kleinkinder – aber vielleicht auch wir Erwachsenen – sind in diesen Momenten wie im Theater verzaubert.“