„Eine Shopping-Mall nach der anderen wird hochgezogen, aber für Spielflächen gibt es keine paar Quadratmeter.“ Foto: dpa

In der Statistik der kinderfreundlichen Stadt gilt schon ein Wackelauto als öffentlicher Spielplatz.

S-Mitte - Was fehlt, ist nur die Hupe. Am Steuer des gelben Wackelautos hinter dem Rathaus sitzt kein Kind, sondern ein Mann, aber der scheint seine Freude zu haben. Das ist zwar nicht ganz der Sinn des im Amtsdeutsch „Spielpunkt“ betitelten Geräts, aber nahe daran. Der gelbe Wagen gehört offiziell zu den Spielplätzen der Innenstadt.

Dass Kinder und die Jugend im Zentrum der kinderfreundlichen Stadt Stuttgart ihre Plätze lange suchen müssen, belegt schon die Statistik: In der Stadtmitte ist nur ein Fünftel des amtlich ermittelten Versorgungsgrads erreicht. 50 Prozent sind das Ziel. Daran ändert sich seit Jahren nichts. Und zumindest fürs Zentrum sind die Zahlen noch geschönt, wie die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle beklagt.

„Eine Shopping-Mall nach der anderen wird hochgezogen.“

So sind in der Tabelle 162 Quadratmeter Spielplatz am Rande der Altstadt vermerkt. „Das ist nur Unkraut“, sagt Kienzle. 760 Quadratmeter in einem Innenhof an der Hauptstätter Straße wären ebenfalls zu streichen – der Zugang ist verschlossen. Davon abgesehen tut Volkes Spottmund die Meinung zu diesem Spielplatz eindrücklich kund: Er heißt Kinderknast. Zwei der „öffentlichen Kinderspielplätze“ stehen mit einer Grundfläche von einem Quadratmeter in der Liste. Jenes gelbe Wackelauto trägt bemerkenswerterweise 50 Quadratmeter zur Bilanz bei.

„In der angeblich kinderfreundlichen Stadt wird eine Shopping-Mall nach der anderen hochgezogen, aber es gibt keine paar Quadratmeter für Spielfläche.“ So drückt es der Christdemokrat Michael Scharpf aus, der im Bezirksbeirat Mitte sitzt. Weil die amtlichen Berichte zum Thema „wirklich deprimierend sind“, wie Kienzle sagt, wollen die Lokalpolitiker sich wegen der Spielplätze zu einer Klausurtagung treffen.

Es fehlt an Spielplatzfläche

Ob das helfen wird, scheint fraglich. Denn selbst wo Besserung beschlossen ist, kann bis zum Vollzug eine halbe Kindheit vergehen. Vor knapp einem Jahr ist mit einem kleinen Festakt gewürdigt worden, dass ein Hof im Gerberviertel zum Spielplatz samt Theaterbühne umgebaut werden soll. Der Gemeinderat hat dafür fast eine Viertelmillion Euro genehmigt. Der Lions-Club spendete 19 000. Aufgebaut wurde bisher eine Schaukel. Die Einweihung der Anlage ist auf 2013 verschoben. „Wir sind leider nur zu dritt für die gesamte Innenstadt zuständig“, sagte Andreas Hellmann vom Gartenamt den Bezirksbeiräten. „Wenn Sie politischen Druck aufbauen, würde das der Verwaltung helfen.“

Oder nicht, denn auf politischen Druck reagiert die Verwaltung erfahrungsgemäß mit dem Bedrucken von Papier. 1977 erschien der erste Stuttgarter Spielflächenleitplan. Die aktuelle Version ist fünf Jahre alt und umfasst 90 Seiten. Deren Fazit ist schlicht zusammenzufassen: Offiziell fehlt in der Innenstadt Spielplatzfläche, die der Größe von gut 45 Fußballfeldern entspricht. Tatsächlich sind es eher 52 Fußballfelder, denn Wald- und Parkflächen an den Rändern der Quartiere sind in der Liste großzügig mit den Mangelzahlen verrechnet.

Griesheim zum Vorbild nehmen

Immer gab und gibt es Initiativen, die am Zustand etwas ändern wollen: Das Fehlen von Spielplätzen, insbesondere in den Innenstadtbezirken, beklagte der Gemeinderat bereits Mitte der 90er Jahre. Folge war die Gründung eines Arbeitskreises. Der stellte fünf Jahre später fest, das Problem sei ein genereller Mangel an freien Grundstücken in dicht bebautem Gebiet. Dies „dürfte schon damals keine neue Erkenntnis gewesen sein“ – so ist es in einem aktuellen Antrag der Sozialdemokraten im Gemeinderat zu lesen.

Im Antrag fordern die Genossen, Stuttgart möge sich im Hinblick auf die Kinderfreundlichkeit die 28 000-Einwohner-Gemeinde Griesheim zum Vorbild nehmen. Die hat sich mit wissenschaftlicher Begleitung der Fachhochschule Darmstadt den Titel „Bespielbare Stadt“ erarbeitet. Die Initiative ist preisgekrönt, war dem ZDF eine Reportage wert und ist zum Thema eines Sachbuchs geworden. Die Erkenntnisse, meint die Initiatorin des Antrags, Marita Gröger, seien durchaus auf Stuttgart übertragbar. Allein schon, weil sich rund 70 Städte inzwischen um Nachahmung bemühen.

Allerdings hatten die Genossen sich schon vielfach des Themas angenommen. In Anträgen forderten sie insbesondere, zu Gunsten der Kinder den Platz für den Autoverkehr zu beschneiden. Die wiederkehrenden Antworten lassen sich in einem Wort zusammenfassen: abgelehnt. Gröger kam vor 35 Jahren in den Gemeinderat, ausdrücklich mit dem Ziel, sich für mehr Platz zum Toben einzusetzen. Ihre Erfahrung dabei ist allerdings wenig ermutigend: „Da werden Sie zum Hirsch.“