Silke Schmidt-Dencker Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Beim Förderverein Kinderfreundliches Stuttgart übergab die langjährige Geschäftsführerin Roswitha Wenzl zum 1. Februar das Zepter. Redakteurin Barbara Czimmer-Gauss sprach mit Wenzls Nachfolgerin über den Killesberg, über Notlagen in der Stadt und natürlich über Kinder.

Frau Schmidt-Dencker, wie wird man Geschäftsführerin dieses Fördervereins?
Ich habe mich während meiner Familienzeit immer ehrenamtlich engagiert, ob Kindergarten, Schule, Elternbeiratsvorsitz, habe mit Freundinnen einen eigenen Verein gegründet, den Verein Frauen helfen helfen, der es sich zur Aufgabe macht, Kinder, Familien und Frauen in Notsituation zu unterstützen. Als der Geschäftsführerposten ausgeschrieben war, sagte eine Freundin: Das würde optimal zu dir passen. Ich habe mich beworben, und dann ging alles ganz schnell.
Ist Ihre Vereinserfahrung hilfreich?
Auch über die Vereinsarbeit kenne ich viele Menschen in der Stadt. Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt und vielen Projektpartnern zusammen. So habe ich auch meine Vorgängerin, Frau Wenzl, kennengelernt. Mit ihr zusammen habe ich im Rathaus das Projekt Cities for Children betreut. Ich habe also ein ordentliches Netzwerk in der Stadt.
Sind Sie bei Frauen helfen helfen noch aktiv?
Ich bin dort im Vorstand und mache das im Ehrenamt und mit Leidenschaft gern weiter.
Der Verein Kinderfreundliches Stuttgart ist umgezogen vom Holtzbrinck-Haus auf der Halbhöhe hinunter in die Stadt, in die Räume der Bürgerstiftung Stuttgart. Fehlt Ihnen der Ausblick?
Der Blick von da oben ist sehr schön. Aber durch die Bürogemeinschaft mit der Bürgerstiftung können wir Energien bündeln und hoffentlich auch gemeinsam Dinge entwickeln. Das war letztendlich auch der Grund, dass wir hier eingezogen sind. So sind wir direkter im Stadtgebiet verortet.
Sie sind als mehrfache Mutter vermutlich nah am Thema.
Ich habe drei Söhne, 21, 18 und 13 Jahre alt, sowie zwei Töchter meines Mannes mit großgezogen. Die sind heute 26 und 28 Jahre alt. Deswegen habe ich durchaus praktische Erfahrung beim Aufwachsen von Kindern in Stuttgart.
Warum wären Sie gern Kind in Stuttgart?
Weil es viele Möglichkeiten für Kinder gibt. Fast schon so viel, dass man leicht den Überblick verlieren kann, egal ob es sich um Angebote für Bildung oder um Hilfen handelt.
Und was ist nicht so schön?
Für viele Kinder ist es schwierig, an der Bildung zu partizipieren und Angebote wahrzunehmen. Das betrifft insbesondere jene Kinder, wo elterliche Unterstützung aus sozialen, finanziellen oder psychischen Gründen nicht möglich ist. Wenn diese Kinder nicht zufällig Nachbarn, Erzieher und Lehrer um sich haben, die sich ihrer annehmen, können sie trotz aller Angebote auf der Strecke bleiben.
Gibt es eine Gruppe in der Bevölkerung, für die diese Gefahr besonders groß ist?
Durch die Bonuscard kriegen die Familien ja durchaus finanzielle Unterstützung. Ich beobachte aber, dass es etliche Familien gibt, die mit ihrem Einkommen knapp über dem Satz liegen, der sie berechtigen würde, die Bonuscard zu beantragen. Die fallen damit aus allen Fördermöglichkeiten raus und können an vielen Dingen nicht mehr teilnehmen, weil es ihnen zu teuer ist.
Wie hilft man ihnen?
Das ist schwierig. Diese Familien ziehen sich eher zurück, weil es ihnen fast unangenehm ist, nach Hilfe zu fragen. Oft ist ja auch in den Schulen über Fördervereine Hilfe möglich, aber viele Familien offenbaren sich nicht, weil dies ein Bekenntnis wäre, dass sie nicht mithalten können. Diese Familien werden noch zu wenig beachtet, weil sie so still sind. Ich sehe den Bedarf, aber ich sehe Hilfen für diesen Personenkreis nicht als Aufgabe des Fördervereins Kinderfreundliches Stuttgart. Das ist eine Aufgabe der Politik.
Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit der Bildungspolitik, mit den Schulen gemacht?
An sich gute. Problematisch war es nur für die Älteste, bedingt durch den Umzug von Hamburg nach Baden-Württemberg. Die Fächerkombination, die sie in Hamburg hatte, war hier in der Oberstufe nicht möglich. Deshalb hat sie zuletzt an einer Schule in England ihren Abschluss gemacht. Darin sehe ich die Schwierigkeit des Schulsystems bundesweit. Von Familien erwartet man, dass sie flexibel sind oder die Familien mitziehen, wenn der Hauptverdiener den Arbeitsplatz wechseln muss. Aber das Bildungssystem ist in den Bundesländern so unterschiedlich, dass es den Kindern schwerfällt, von einer Schule auf die andere zu wechseln. Da müsste mehr Durchlässigkeit geschaffen werden.
Hatten Ihre Kinder genug Lebensqualität?
Sie sind auf dem Killesberg aufgewachsen, das ist ein bisschen wie unter einer Käseglocke und fernab der Lebensrealität vieler anderer Kinder. Wir hatten den Killesbergpark vor der Haustür, die Kinder konnten auf der Straße Fußball spielen und hatten ihre Fahrradfreunde in der Nachbarschaft, aber das ist leider nicht überall so in Stuttgart. Was mir aber dort und anderswo auffiel: Vieles ist hier streng reglementiert in der Stadt. Das Fußballspielen. Das Bolzen. Das Radfahren. Selbst auf dem Killesberg kann noch an der Kinderfreundlichkeit gearbeitet werden.
Mussten Sie auch fürs Mama-Taxi herhalten?
Bei vier Kindern, die an den unterschiedlichsten Orten trainieren oder musizieren, kann man meist nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Und dass man einen Achtjährigen mit einem Saxofon auf dem Rücken allein in die Stadtbahn steckt, ist eher unwahrscheinlich. Ich beobachte mit Interesse die kleinen, schmalen Stadtteilbusse. Warum kann man solche nicht auch für Kinder einsetzen?
 
Wollen Sie konkrete Ideen auch umsetzen?
Mir ist es wichtig, Interessen zu bündeln. Ich habe den Eindruck, dass viel Tolles passiert, vieles den Familien nicht bekannt ist und sie oft zu wenig Zeit haben, Angebote wahrzunehmen. Wir sollten also schauen: Was passt wo? Wer macht was? Wir sollten an einem Strang ziehen. Wenn es gute Projekte und Ideen gibt, sollten andere davon erfahren. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden.