Lili Knickel (rechts) und Suela Gashi nehmen probehalber auf dem Chefsessel Platz, um OB Matthias Klopfer (vorn) zu befragen. Foto: oh

Die Gemeindeordnung fordert klar: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen.“ Nun möchte die Kinder-Biennale die Interessen von Kindern stärker zur Geltung bringen.

Esslingen - Sie haben den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck auf Schloss Bellevue besucht und dem späteren Bundeskanzler Olaf Scholz auf den Zahn gefühlt. Und ganz egal, ob sie Ministerpräsidenten, Abgeordnete oder OB-Kandidaten befragten – die Jungs und Mädchen der Esslinger Kinder-Biennale haben schon oft bewiesen, dass sie sich für Politik interessieren und dass sie ihre Meinung auf den Punkt bringen können. Für Biennale-Macherin Margit Bäurle ist das keine Überraschung: „Kinder beobachten die Welt viel aufmerksamer, als manche ihnen zutrauen. Und sie haben etwas zu sagen.“ Deshalb setzt sich Margit Bäurle dafür ein, dass Kinder erfahren, wie Politik funktioniert und wie sie ihren Wünschen und Ideen Gehör verschaffen können. Ihr Traum ist die Gründung eines Kindergemeinderats. Ob es neben dem Jugendgemeinderat ein weiteres Gremium für die junge Generation braucht, mag der Esslinger OB Matthias Klopfer noch nicht abschließend bewerten. Klar ist für ihn: „Das Wort der Kinder muss Gewicht haben.“

 

Zukunft mitgestalten

Mit ihrem Plan, Kindern mehr Mitsprache bei wichtigen Zukunftsthemen zu ermöglichen, liegt die Kinder-Biennale im Trend. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat betont: „Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, an Entscheidungen über Maßnahmen, die sie und ihre Zukunft betreffen, teilzuhaben. Gemeinsam mit Kindern erzielt die Politik nachhaltigere und bessere Ergebnisse. Politische und gesellschaftliche Partizipation von klein auf fördert zudem das politische Bewusstsein, die Demokratie und den Zusammenhalt.“

Zeigen, wie Politik funktioniert

Beteiligungsmodelle für Jugendliche gibt es vielerorts – auch in Esslingen, wo ein Jugendgemeinderat die Kommunalpolitik berät. Doch dieses Gremium ist 14- bis 19-Jährigen vorbehalten. „Wir finden, dass auch die Jüngeren ihre Interessen vertreten sollten“, sagt Margit Bäurle. „Und wer seine Meinung sagen will, muss zunächst wissen, wie Politik funktioniert.“ So haben sich die Biennale-Kids in Berlin im Bundestag umgeschaut, die CDU-Parteizentrale besucht und mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) geplaudert. Und sie haben mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf Augenhöhe parliert.

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„Meist bestimmen Erwachsene, was in der Politik passiert“, sagt Margit Bäurle. „Viele Entscheidungen betreffen Kinder ganz direkt. Deshalb ist Politik für Kinder sehr spannend. In die Welt der Erwachsenen zu blicken, macht ihnen viel Freude. Wenn es um Berufe geht, die selten sind oder berühmt machen, ist das besonders interessant.“ Ob Bürgermeister oder Bundeskanzler – für die allermeisten Kinder seien das Berufe wie jeder andere. Entsprechend unbefangen unterhalten sich viele Jungs und Mädchen mit denen, die das Sagen haben. So war das im Esslinger OB-Wahlkampf, als die Biennale-Kids die Kandidatenriege zu Interviews bat. So war das im Bundestagswahlkampf, als Olaf Scholz den Kinderreporterinnen Lili Knickel und Suela Gashi vor großem Publikum Rede und Antwort stand. Und so war das zuletzt auch, als die beiden den Esslinger OB Matthias Klopfer zu seinen ersten 100 Tagen im Amt befragten – der Landesfilmdienst war mit seinen Kameras stets dabei.

Neue Perspektiven auf Politik

Dass solche Gespräche neue Perspektiven auf die Politik und deren Akteure vermitteln können, ist für Margit Bäurle keine Frage: „Kinder fragen anders als Erwachsene. Und Politiker erklären oft viel sorgfältiger, wenn sie mit Kindern sprechen. Meist haben solche Gespräche auch nicht die Schärfe, die man sonst in der politischen Auseinandersetzung erlebt.“ Deshalb soll das Thema Politik in diesem Jahr bei der Kinder-Biennale eine zentrale Rolle spielen. Kinder sollen erfahren, wie man Politiker wird, was man im Alltag zu tun hat, wie Entscheidungen zustandekommen – und welche Möglichkeiten der Mitsprache es gibt.

Besuch im Bundestag

Dazu möchte die Kinder-Biennale Institutionen und Politiker besuchen – in Esslingen, Stuttgart und Berlin. Kinder sollen in Esslingen den Gemeinderat, den Jugendgemeinderat und das Rathaus erleben, Interviews mit Politikern führen und die Gespräche zusammen mit dem Landesfilmdienst und der Zeitung aufbereiten. Sie wünschen sich eine Sprechstunde für Kinder im Rathaus, planen einen Flashmob und denken sogar über die Gründung eines Kindergemeinderats nach, der die Esslinger Kommunalpolitik genau wie der Jugendgemeinderat beraten könnte – nur eben aus Kindersicht.

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Bei OB Matthias Klopfer, der auch die Schirmherrschaft über die Kinder-Biennale übernommen hat, rennt Margit Bäurle offene Türen ein: „Kinder an politischen Entscheidungen, die sie ganz direkt betreffen, zu beteiligen, ist richtig und sinnvoll. Ob es dazu einen Kindergemeinderat braucht, muss man überlegen. Andere Formate wie eine Kinder-Vollversammlung oder regelmäßige Gespräche mit Kindern in meinem Büro können ebenfalls eine gute Option sein. Entscheidend ist: Kinder müssen spüren, dass die Politik sie ernst nimmt. Und der Politik tut es gut, ihnen zuzuhören, weil sie eine eigene Perspektive und oftmals auch sehr interessante Ideen haben. Das kann die kommunalpolitische Arbeit sehr bereichern.“

Interessenvertretungen für den Nachwuchs

Geregelt
 In der Gemeindeordnung des Landes heißt es: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten. Die Mitglieder der Jugendvertretung sind ehrenamtlich tätig.“

Jugendgemeinderäte
 Zahlreiche Kommunen im Land haben Gremien eingerichtet, in denen der Nachwuchs seine Interessen vertreten kann. Der Fokus liegt in der Regel auf Jugendlichen, Vertretungen für Kinder sind rar. Jugendgemeinderäte gibt es unter anderem in Esslingen, Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen und Nürtingen. Kirchheim hat mit BePart! ein eigenes städtisches Jugendbeteiligungsformat eingeführt. Jugendgemeinderäte beraten die Kommunalpolitik, haben selbst jedoch keine bindenden Entscheidungsrechte.

Esslingen
Dem Esslinger Jugendgemeinderat, der zuletzt 2019 gewählt wurde, gehören 20 engagierte Jugendliche im Alter zwischen 14 und 19 Jahren an.