Tanja Maaß hält die „Hand“ eines Roboterarms. Maaß ist nicht nur ein Exot in der KI-Branche – sie pflegt auch exotische Hobbys wie das Fallschirmspringen. Foto: Horst Rudel

Tanja Maaß entwickelt Künstliche-Intelligenz-Produkte für Industrieunternehmen. Damit sieht sie sich und ihr Unternehmen Resolto technologisch weit vorne. Ihre Arbeit hat auch das Interesse eines großen Unternehmens in der Region Stuttgart geweckt.

Esslingen - Mit gut 66 000 Einwohnern ist Herford nicht sonderlich groß. Doch die Stadt in Ostwestfalen hat eine lange Historie – die Anfänge reichen bis ins späte achte Jahrhundert zurück. Es sind nicht zuletzt Frauen, die dort Geschichte geschrieben haben – weshalb Herford auch den Zusatz „Stadt der starken Frauen“ trägt. Einen großen Anteil daran hat das Damenstift, das im neunten Jahrhundert gegründet wurde und bis ins späte 18. Jahrhundert von Äbtissinnen geführt wurde, die – für die damalige Zeit durchaus ungewöhnlich – nicht nur politisch eine wesentliche Rolle spielten. Sie besaßen zudem quasibischöfliche Rechte und als Eigentümer großer Höfe auch eine wirtschaftliche Macht. Einige Jahrhunderte später hat SPD-Politikerin Frieda Nadig dafür gekämpft, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Grundgesetz verankert wird.

 

Tanja Maaß ist Herforderin, und sie kennt natürlich die Stadtgeschichte. Die 46-Jährige ist groß gewachsen, trägt einen blonden Zopf und ist sichtlich stolz auf ihre Heimatstadt. Sie passt ja auch ganz gut in den Reigen der dortigen Frauen. Die Gründerin des IT-Unternehmens Resolto Informatik GmbH ist engagiert, kämpferisch und durchsetzungsfähig. Sie behauptet sich erfolgreich auf einem Gebiet, das eher als Männerdomäne gilt: die Künstliche Intelligenz (KI). Vereinfacht ausgedrückt entwickelt Resolto Software, die es der Industrie ermöglicht, schneller und mit besserer Qualität zu produzieren, erläutert Maaß. Ihre Lösungen sorgen dafür, dass in der Produktion Energie eingespart wird, die Maschinen seltener ausfallen und zudem der Ausschuss während des Produktionsprozesses sinkt. Den Markterfolg der Lösung führt sie nicht zuletzt darauf zurück, dass sich die Vorteile für die Unternehmen „in einer konkreten Zahl in Euro“ messen lassen, so Maaß. Auch Festo wurde aufmerksam – und war am ganzen Unternehmen interessiert. Der Automatisierungsspezialist hat sich im Frühjahr 2018 an dem Herforder Mittelständler zunächst beteiligt. Spätestens 2023 soll Resolto, das zu den führenden KI-Unternehmen zählt, ganz den Esslingern gehören. Die geschäftsführende Gesellschafterin Maaß ist dann „nur noch“ Geschäftsführerin der Festo-Tochter.

Der Hype und die Folgen

„Vor sechs Jahren hätte ich nie verkauft“, erzählt sie. Warum dann jetzt? Es liege am Hype rund um die Künstliche Intelligenz, begründet sie ihre Entscheidung. IBM, SAP, Microsoft oder Amazon – all diese Riesen investieren Milliardenbeträge in den Bereich. Bisher sieht sich Maaß technologisch weit vorne; doch wie lange noch? „Wenn ich nicht überrollt werden will, brauche ich einen starken Partner, der strategisch sinnvoll ist“, analysiert Maaß, die Mathematik studiert und ihr Studium in theoretischer Informatik abgeschlossen hat. Trauert sie jetzt – unter dem Dach von Festo – ihrer gewesenen Freiheit nach? „Auch als Unternehmerin habe ich immer nur die Freiheiten gehabt, die mir der Markt gelassen hat“, sagt sie pragmatisch. Festo bringe Vorteile, beim Vertrieb etwa – jetzt habe Resolto direkten Zugang zu mehr Ländern – oder bei der Produktentwicklung; sie spricht nicht zuletzt die finanziellen Möglichkeiten von Festo an. Resolto wurde Eigenständigkeit zugesichert, auch im Umgang mit Bestandskunden.

Maaß hat 2003 ihr Unternehmen gegründet. In welche Anwendungsbereiche sie wollte, wusste sie damals nicht. „Unternehmertum ist immer eine Reise, die man ahnungslos antritt“, sagt sie rückblickend. Ihren ersten Businessplan habe sie gemeinsam mit einem Experten aufgestellt. Seine Empfehlung: Sie solle, salopp formuliert, zunächst machen, was andere auch schon tun. Denn je mehr Wettbewerb es gibt, desto klarer sei, dass es auch einen Markt gibt. Die Jungunternehmerin hat von Anfang an Geld verdient. Im Laufe der Jahre suchte sie dann ihren Weg in die industrielle Nische. Mittlerweile setzen die 35 Resolto-Mitarbeiter rund drei Millionen pro Jahr Euro um.

Die Netzwerkerin

Tanja Maaß ist äußerst kontaktfreudig. Sie lacht häufig und gerne, die Sätze sprudeln nur so aus ihr heraus. Sie ist Netzwerkerin. Sie engagiert sich in Verbänden. Wenn sie etwas nicht kann, sucht sie Unterstützung – etwa mit Forschungsinstituten wie Fraunhofer. Auch Kontakt zum Bundeswirtschaftsministerium hat sie aufgenommen – und finanzielle Unterstützung für Projekte erhalten. Wenn sie über die Erfolge des Unternehmens redet, wählt sie nicht die Ich-Form, sondern redet stets vom Team. Die Mitarbeiter würden teilweise mit „Hardrock-Shirts und Zöpfen“ (Maaß) am Arbeitsplatz sitzen. Krawatten seien unbekannt. Auch Frauen entscheiden sich für Resolto. Und wenn sie Mitarbeiter zu Kundengesprächen mitnehme, dann würden sie anschließend im Auto Fritten aus dem Pappkarton essen und über den Arbeitstag reden. Aber nicht nur solche Äußerlichkeiten machen den Unterschied zu Festo aus. „Wir Informatiker sind verspielter als Ingenieure“, erläutert Maaß. „Wir wollen alles ausprobieren, weil wir es mit einer Taste wieder rückgängig machen können.“ Ingenieure dagegen seien ernsthafter und risikoaversiver. „Es wäre hilfreich, wenn wir uns ein wenig verändern“, räumt Maaß mit Blick auf Festo ein.

Das Frausein in einer Männerbranche habe ihr Türen geöffnet. „Wenn sie ein Exot sind, kann man sich ihr Gesicht viel besser merken“, sagt sie. Nicht zuletzt im Vertrieb habe das Vorteile. Doch einfach war es nicht immer. „Es gab den Tag, an dem ich beim Friseur einen Kurzhaarschnitt wollte. Und ich wollte nur noch Hosen tragen, weil ich mich als Frau total unsicher fühlte“, erinnert sich die Informatikerin. Damals, kurz nach dem Studium, war sie zunächst angestellt. Ihr damaliger Arbeitgeber, „ein Alphatierchen“ (Maaß), habe ihr handschriftliche Notizen gereicht, aus denen sie eine Powerpoint-Präsentation erstellen sollte. „Blöder Kerl“, habe sie sich gedacht – und ihm „das Zeug wieder hingeschmissen“. „Es ging ihm darum, das Gefälle klarzustellen“, sagt sie rückblickend. Auch heute erlebe sie am Telefon schon mal, dass jemand nach dem Chef frage. „Den haben wir hier nicht“, sage sie dem Anrufer – und lege auf. Resolut auftreten kann sie.

Lizenz zum Fallschirmspringen

Maaß hat viele Interessen. Sie besitzt beispielsweise eine Fallschirmlizenz. „Während der Gründung war das ein super Ablenkungssport.“ Wer aus dem Flugzeug springe, denke nicht ans Geschäft. Sie ist Jägerin; gemeinsam mit ihrem Mann macht sie Jagdurlaube in einsamen Regionen Norwegens. Natürlich erlege sie Tiere. Gerne beobachte sie auch junge Füchse, Hasen oder Kitze, wenn die erstmals aufeinander aufmerksam werden. „Das ist das krasse Gegenteil von Künstlicher Intelligenz.“ Und künftig will sie wieder Harfe spielen, womit sie vor zehn Jahren begonnen hat.