Ausblick, der auch Rückschau ist: Szene aus „Alpha – Omega“ Foto: Hans Jörg Michel

2002 übernahm der Amerikaner Kevin O’Day das Ballett am Nationaltheater. Nachdem 14 Spielzeiten später sein Vertrag nicht verlängert ist, startet er nun in seine letzte Saison und zeigt mit „Alpha – Omega“ seine letzte Produktion als Mannheimer Intendant. Die ist dramaturgisch klug konzipiert und von dieser Offenheit, mit der Kevin O’Day von Beginn an die Neugierde seines Publikums heiß zu halten wusste.

Mannheim - Kitsch? Das könnte denken, wer in „Alpha – Omega“ zum ersten Mal Kevin O’Days Ensemble am Mannheimer Nationaltheater sieht. Ein Kinderchor begrüßt die Zuschauer mit jenseitig schönem Gesang; aufgereiht an einem langen Becken, das Saal und Bühne trennt, wirken die 32 Sänger im Spiegel des Wassers tatsächlich fern wie Engel. Hinter ihnen heben sich Tänzer empor, um aus einer langen Röhre Sterne zu angeln, die sie im Raum verteilen. Ihre Kleider – Plissé-Roben oder einfacher Gewirktes – waren wohl einmal von unschuldigem Weiß. Jetzt sehen sie aus wie Bräute, die lange unterwegs waren und zu viel Staub geschluckt haben.

2002 übernahm der Amerikaner Kevin O’Day das Ballett am Nationaltheater. Nachdem 14 Spielzeiten später sein Vertrag nicht verlängert ist, startet er nun in seine letzte Saison und zeigt mit „Alpha – Omega“ seine letzte Produktion als Mannheimer Intendant. Und die ist dramaturgisch klug konzipiert und von dieser Offenheit, mit der Kevin O’Day von Beginn an die Neugierde seines Publikums heiß zu halten wusste.

„Er ist Mannheimer, so wie ich“, sagt Kevin O’Day über den Fotografen Peter Schlör, mit dem er für „Alpha – Omega“ erstmals zusammenarbeitet. Den Satz konnte er über viele Künstler sagen, die er im Laufe der Jahre für das Ballett entdeckte. Das Streichquartett etwa, das auch in „Alpha – Omega“ mit auf der Bühne ist. Auch der Kinderchor des Nationaltheaters gibt hier nun sein Debüt. So verweist der Titel mit dem ersten und letzten Buchstaben des klassischen griechischen Alphabets zwar auf das Ende einer Ära, aber auch auf viele Neuanfänge.

Golden schimmert der Zauber jeden Anfangs

Weil das eine ohne das andere nicht zu verstehen ist, denkt Kevin O’Day lieber in Zyklen. Folgerichtig hat er den Komponisten John King mit ins Boot geholt, mit dem er seit dem ersten Mannheimer Stück zusammenarbeitet. Folgerichtig beginnt sein Stück bereits im Foyer, wo sich zwei Tänzerinnen sowie einige Sänger unters Publikum mischen. In goldenen Roben geben Zoulfia Choniiazowa und Julia Headly dem Zauber jeden Anfangs Form. Drinnen auf der Bühne deutet sich im Kommen und Gehen von Tanz und Gesang dann schnell an, dass wir alle nur Sternenstaub sind, wie es der britische Astronom Martin Rees einmal formulierte.

Zwei Wände, scheinbar aus Betonblöcken geformt, grenzen die Bühne ab und sind Projektionsfläche für die Baumporträts Peter Schlörs. Die erzählen von Verwurzeltsein, während der Tanz, nachdem er in Duetten das Alpa-Omega-Thema ausgedeutet hat, immer neue Motive für das Fließen findet, Tänzer treppenförmig staffelt, Bewegungen weiterreicht. Kings Komposition „alpha – omega – alpha“ unterstreicht die Idee des Unendlichen im Vergänglichen. Inspiriert von einem Gedichtzyklus T. S. Eliots wirft die Musik uns in Attacken oder in seriellem Insistieren Melodie- und Textbrocken hin.

Fast quecksilbrig ist die Offenheit, mit der Kevin O’Day in seinen Bewegungen Klassisches durch einen intensiven Körpereinsatz bricht. Immer wieder lässt er die Tänzer dicht gedrängt innehalten, ihre traumverlorenen, der Zeit enthobenen Gesten erinnern an „Delta Inserts“, das Stück, mit dem ihm 1999 in Stuttgart der Durchbruch gelang.

Umsichtig geleiten die Tänzer die Kinder über die Bühne, machen sie in immer neuen, schönen Formationen zum Zeichen der Hoffnung. Ein bisschen mag da Kevin O’Day bewegt haben, wie mit ihm umgegangen wurde, um die Weichen für das Ballett am Nationaltheater neu zu stellen. Das Wissen um diesen Abschied legt fern von Kitsch einen berührenden Schleier der Melancholie über „Alpha – Omega“. Nur kurz, wenn die Tänzer am Ende ins Wasser steigen, diktiert Wut ihre Gesten. Der Applaus des Mannheimer Publikums lässt keinen Zweifel: Es wird Kevin O’Day vermissen.

Wieder am 19. November, 2. und 16. Januar und an weiteren Terminen