Die Band Kettcar bei ihrem Konzert an diesem Donnerstag im Theaterhaus in Stuttgart Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Die Band Kettcar bewegt sich im Stuttgarter Theaterhaus unentschieden zwischen politischer Schrammel-Poesie und glattem Discopop.

Stuttgart - Dass sie alt geworden sind, wissen sie selbst: Wie viele Leute unter 30 heute hier seien, ruft Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch im Stuttgarter Theaterhaus probeweise in die Menge. Verhaltenes Grölen. Wiebusch zieht ironisch die Augenbraue hoch, wirklich überrascht scheint er jedoch nicht zu sein. Schließlich schreiben er und seine Band ihre musikalische Großstadtkrisenchronik bereits seit 17 Jahren.

Irgendwann mal ging es dabei um ein Hamburg, in dem man auf dem Weg aus der Leichenhalle noch mal kurz lethargisch zwischen Erinnerungssplittern hervor winkt. Dazu stand Wiebusch mit schrammeliger Gitarre und leicht verkniffenem Blick vor einer Holztür und inszenierte die eigene Verzagtheit als Understatement-Video. Diese verkopfte, schwerfällige Lyrik stellte Kettcar intellektuell lange in eine Reihe mit Tocotronic, den Sternen und Tomte. Hamburger Schuleeben. Alles ein bisschen links, alles ein bisschen Weltdiskurs. Kettcars hymnischer Ton, die klaren Riffs, die eingängigen Akkorde klangen nach deutschem Indie-Punk, die poetische Düsternis nach linksliberaler Denkerelite.

Doch seit „Landungsbrücken raus“ ist einige Zeit vergangen. Während Tocotronic mit „Die Unendlichkeit“ inzwischen fast schüchtern auf das Leben ihres Frontmanns zurückschauen, wählt Kettcar den entgegengesetzten Weg – Understatement war einmal.

Understatement war einmal

„Polit-Punk“ sei man ja jetzt, witzelte Wiebusch gestern auch auf der Bühne des Theaterhauses. Und tatsächlich: Nach gut vierjähriger Abstinenz wettern die Hamburger Indie-Poeten mit ihrem neuen Album „Ich vs. Wir“ ungewohnt deutlich gegen Ego-Zyniker, Pegidisten und besorgte Bürger. Das neue Werk klingt ungewohnt. Weg ist das sperrig Poetische der Vorgängeralben mit so schönen Titeln wie „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“. „Ich vs. Wir“ ist mainstreamiger, drängender, weniger subtil: Statements statt Spracheleganz, Diskurs statt Disco.

Auf der Bühne lassen sich Kettcar dennoch nicht auf die Protestschiene reduzieren. Das gut anderthalbstündige Set ist vielmehr ein sprunghaftes Best-of der letzten Jahre, in dem die Band immer wieder zwischen ihren musikalischen Selbstbildern hin und her wechselt.

Das technisch nahezu perfekte Set wirkt oft zu glatt

In seinen besten Momenten ist Wiebusch dann wieder der begnadete Schrammel-Poet aus den „Landungsbrücken raus“-Tagen: immer noch mit minimalistischer Performance, immer noch mit – inzwischen sogar videounterstützter – Hamburg-Metaphorik. Doch leider zieht diese Ästhetik erst gegen Ende, nachdem die eindringliche Version von Wiebuschs Soloprojekt „Der Tag wird kommen“ die etwas verhaltene Stimmung im Publikum endlich gelockert hat.

Davor arbeitet sich die Band durch ein technisch nahezu perfektes Set, das jedoch stellenweise so glatt klingt, als habe im Hintergrund jemand einfach die dazugehörigen LPs laufen lassen. Das Publikum singt altbekannte Hymnen wie „Deiche“ oder „Graceland“ zwar wohlwollend mit, doch der Funke will heute nicht so richtig überspringen, vielleicht auch, weil das Konzept des Abends über lange Strecken nicht ganz klar wird: So richtig politisch will man nicht sein, so richtig Disco aber auch nicht. Stattdessen werden die Zuschauer mit einem Mix aus Evergreens wie „Im Taxi weinen“, Statement-Songs wie „Im Sommer 89“ und anrührend direkten Up-Tempo-Nummern wie „Ankunftshalle“ etwas rat- und rastlos zurückgelassen.