Es ist eine kleine Stadt, die für zwei Tage Kesselfestival entsteht. Wer hält alles am Laufen, während zahlreiche Menschen die Musik genießen? Ein Blick hinter die Kulissen.
Der letzte Ton verklingt. Younotus lässt den Abend ausklingen. 23 Uhr auf dem Wasen. Der erste Tag des Kesselfestivals geht zu Ende. Viele der 15 000 Besucher sind schon nach dem Deichkind-Konzert gegangen, nun leert sich der Platz. Feierabend und Arbeitsende für 400 Menschen, die Bier gezapft, Burger gegrillt, Gäste versorgt, bespaßt oder kontrolliert haben.
Für viele von ihnen hat der Tag früh begonnen. Um 6 Uhr sind die ersten auf dem Cannstatter Wasen, bauen ihre Stände auf, bereiten die Sportplätze vor, kontrollieren nochmals die sechs Kilometer Zaun, die Bühnen, die Technik, räumen die 20 Gastrostände ein. Und 8 Uhr schaut das Ordnungsamt vorbei zur Abnahme. Danach gibt es eine Mängelliste, die das Team um Veranstaltungsleiter Christian Doll abarbeiten muss. Da steht noch ein Auto auf dem Platz, das Kabel muss noch abgedeckt werden. Um 10.50 Uhr kommt die Freigabe, alles passt. Um 11 Uhr können sie wie geplant öffnen.
170 000 Quadratmeter groß ist das Gelände. Tatsächlich wird es in dieser Größe nur beim Kesselfestival bespielt, samt Reitstadion, Sattelplatz und Kanuverein präsentiert es sich den Stuttgartern ganz ungewohnt. Sie kennen den Wasen eigentlich nur als Parkplatz oder vom Volksfest. Das Festzelt von Marcel Benz steht noch als Gruß vom Rummel. Nicht nur, weil Hofbräu das Bier ins Zelt und aufs Festival liefert, sondern weil Ostern und damit der Beginn des Frühlingsfestes sehr spät waren. Hätte Benz abgebaut, hätte er kurze Zeit später schon wieder mit dem Aufbau fürs Volksfest beginnen müssen. „Wir können es als Zwischenlager nutzen“, sagt Doll. Wie man auch ins Verwaltungsgebäude von in.Stuttgart auf dem Wasen einzog. „Das spart uns zehn Container“, sagt Doll. Und damit Lasterfahrten. Und damit CO2-Ausstoß.
Dann knarrt das Walkie Talkie. Max Herre will kein Interview geben, obwohl das ausgemacht war. Auch das landet beim Veranstaltungsleiter. Tue Gutes und rede darüber. Man will schließlich auch fürderhin Tickets verkaufen. Also wird erst mal rumtelefoniert. Wie es ausgeht? Keine Ahnung, denn schon wieder knarzt es. Der Flug von Younotus hat Verspätung. Er kommt nicht rechtzeitig aus Berlin weg. Womöglich muss man umplanen. Aber erst mal warten, wann der Musiker in Stuttgart landet. Man wird gelassen in diesem Geschäft. Und muss flexibel bleiben. Wer als Veranstalter Corona überlebt hat, den bringt ein verspäteter DJ nicht aus der Ruhe.
Erstmals bargeldlos zahlen
Es ist eine große Nummer, dieses Kesselfestival, seit Doll es 2019 aus der Taufe gehoben hat. Der Dauerregen des Vorjahres war bitter, wenn denn statt 50 000 Leute nur die Hälfte kommt, fehlt Geld. Vom Eintritt, aber auch vom Verzehr. Die Getränke verkaufen sie in eigener Regie, Essen vergeben sie. Und weil Getränke ein großer Aufreger sein können, es gibt zu wenige, man muss zu lange warten; wobei es eine Regel gibt: Je dünner der Geduldsfaden, desto flinker der Daumen. Das kennen alle Veranstalter, gelobt werden sie selten in sozialen Netzwerken, aber wehe, fürs Bier braucht es länger als fünf Minuten, dann hagelt es Kritik. Nun haben sie 20 Getränkestände, drei überdacht in Zelten, und jedes mit eigenem Kühllaster. Mal schauen, ob das reicht. Deshalb schaut Doll gleich mal nach, als er an einem Stand eine Schlange entdeckt. Eine EC-Karte wird nicht akzeptiert, da wird er hellhörig. Überall kann man bargeldlos zahlen, sollte irgendwas mit dem Zahlsystem nicht klappen, wäre das der größte anzunehmende Unfall. Dann wäre wirklich „Remmidemmi“, wie Deichkind singt. Klappt aber dann doch mit dem Abbuchen.
Recht gelassen sitzt Olaf Danner im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes. Kaum ein großes Konzert ist in den letzten 30 Jahren in dieser Stadt vonstatten gegangen, ohne dass er seine Hände im Spiel gehabt hätte. Der Geschäftsführer von Pool Group ist für die technische Ausstattung zuständig, also Lampen und Lautsprecher, organisiert Zaun und Toiletten und verantwortet das Sicherheitskonzept. Knapp 200 Ordner sind auf dem Gelände. Und um die muss er sich gleich mal kümmern. Beim Zugang zur Hauptbühne braten sie in der Sonne. „Da wurde falsch aufgebaut“, sagt er. Also verschiebt man die Zugänge, dass die Leute im Schatten stehen.
Was ist die Stuttgarter Tabelle?
Dann knarrt das Funkgerät wieder. Einsatz der Sanitäter, jemand ist umgekippt, Schwächeanfall. Das erreicht Doll und Danner, zuständig ist aber das Sani Team Winkler aus Fellbach. Nun müssen gerade im Gesundheitswesen die Zahlen immer stimmen, das gilt auch für die Einsätze. Es gibt eine Stuttgarter Tabelle, nach der errechnet wird, wie viele Sanitäter, Ärzte und Wagen man braucht. Gelände, Umstände, Besucherzahl etcetera fließen da ein. Und je nachdem bestellt und geliefert.
Von den Sanis ist erst mal nichts zu hören, was per se ein gutes Zeichen ist. Dafür meldet sich das Ordnungsamt, das den ganzen Tag auf dem Platz ist. Ein Notausgang ist abgehängt, ein anderer nicht gekennzeichnet. Danner schickt zwei Leute los, um das zu ändern. Heute morgen haben sie schon an alle Autos auf dem Platz Parkkrallen gemacht, vier Leute, hunderte Schlüssel. Ist ja auch unsinnig, wenn man alle Zufahrten verrammelt, aber die Food Trucks und Lieferwagen auf dem Platz lassen sich ungehindert bewegen. Auch dies ist Teil eines verschärften Sicherheitskonzepts der Stadt, das erstmals auf dem Wasen greift.
Ganz andere Probleme hat Melanie Becker an der Hauptbühne zu bewältigen. Wenn Ennion noch spielt, wird schon im Hintergrund für Max Herre und Joy Denalane aufgebaut. Und Deichkind steht auch in den Startlöchern. Vier Produktionen zwischen 14 und 22.20 Uhr haben sie da abzuwickeln, ohne dass es hakt. In der Palasttzeltbühne spielt mittlerweile Younotus, verspätet. Aber sie haben einfach getauscht. Jetzt begleitet er die letzten der 15 000 Besucher nach Hause. Der letzte Ton verklingt.