Tapferes Schneiderlein bei der Arbeit Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

An der Kerschensteinerschule arbeiten die Schüler gerade fieberhaft an den Modellen für die Modeschau an diesem Freitag. Sie ist der Höhepunkt der Ausbildung, die Absolventen verlassen die Schule als staatlich geprüfte Designer für Mode.

Stuttgart - Den farblosen Probestoff hat Paula-Marie David zur Seite gelegt. Unter ihrer Nähmaschine liegt bereits der in verschiedenen Rottönen gesprenkelte Stoff für ihre Hose. „Das Rot soll Feuer und Zerstörung darstellen“, sagt die 19-Jährige. Sie näht viele schmale Stoffbahnen der Länge nach zusammen. „Das soll später beim Laufen einen Flatter-Effekt geben“, erklärt Paula-Marie.

Tragen wird sie die Hose selbst, und zwar an diesem Freitag. Dann findet die jährliche Modeschau der Kerschensteinerschule in Feuerbach statt. Damit die drei Shows (16, 18.30 und 21 Uhr) gelingen, helfen alle zusammen: die drei Klassen des Berufskollegs und die Meisterschule. In der Feuerbacher Festhalle werden alle ihre Modelle präsentieren. Dieses Jahr trägt die Veranstaltung den Titel „Unbeschrieben“, sie ist der Höhepunkt der Ausbildung.

„Unbeschrieben“, das steht für den An-fang eines jeden schöpferischen Prozesses – in der Mode ist es das unbeschriebene Blatt, auf dem der erste Entwurf gezeichnet wird. Jede Klasse hat einen Begriff zugeteilt bekommen, der einen Teil dieses Schöpfungsprozesses darstellt und als Orientierung und Inspiration dient: „Reflexion“ etwa oder gar „Verzweiflung“. Und im Falle von Paula-Marie David eben „Zerstörung“.

Das Ziel: Staatlich geprüfter Designer für Mode

Es ist viel zu tun bis zum Freitagabend. In den Klassenräumen des Berufskollegs herrscht dieser Tage Dauerbetrieb. Im Nähraum kämpfen die 18-jährige Maja Wagner und ihre Lehrerin Ruth Bauer mit dem Kragen eines Jumpsuits. „Ich will den Kragen annähen, aber es entsteht vorne immer eine Falte“, klagt Maja. „Du musst noch mal an das Probeteil ran“, sagt Bauer und demonstriert, mit welchem Kniff sich die Falte einfach vermeiden lässt. Der weit geschnittene Jumpsuit steht für Verzweiflung. „Ich habe auf einer Seite einen Einsatz mit unterschiedlich breiten Falten hineingenäht“, sagt die Schülerin aus der zweiten Jahrgangsstufe. „Die Ungleichmäßigkeit soll die Verzweiflung verdeutlichen.“

Am Ende der Ausbildung am Berufskolleg für Mode und Design der Kerschensteinerschule dürfen sich die Schüler staatlich geprüfter Designer für Mode nennen. In Feuerbach ist man stolz darauf, den jungen Menschen nebenbei auch die Fachhochschulreife zu bieten. Die meisten setzen am Ende außerdem die Gesellenprüfung an der hauseigenen Meisterschule darauf. „Unsere Schüler stehen im Vergleich zur dualen Ausbildung sehr gut da“, sagt Uschi Seltmann, die Abteilungsleiterin für Mode. Das Berufskolleg sei eine gute Alternative dazu.

Deshalb hat sich auch Carmen Garthe für Feuerbach entschieden. Die 20-Jährige macht dieses Jahr ihren Abschluss. Sie hat damals das Gymnasium abgebrochen, ist vom Rheinland nach Stuttgart gezogen und macht stattdessen das Fachabitur an der Kerschensteinerschule. „Ich finde, wir sind den Leuten, die nur Abitur haben, weit voraus“, sagt Carmen. Sie würde es wieder tun.

Im Anschluss: Staatliche Modeschule Stuttgart

Neben ihr steht Mitschülerin Sara Jaworek an einem Tisch, in der Hand ein scharfes Messer und ein Lineal. „Das erste Jahr war hart“, sagt Sara und setzt das Messer an einen transparenten, weißen Stoff. „Dann wurde es aber leichter, und am Ende ist man stolz, es geschafft zu haben.“ Sie schneidet den Stoff in Streifen. Daraus machen sie am Ende kleine Stoffblüten, die sie an ein weißes Kleid nähen.

Mit der Ausbildung am Berufskolleg sollen den Absolventen am Ende alle Türen offen stehen. „Viele studieren Textiltechnik, zum Beispiel in Reutlingen, da gibt es anschließend sehr gute Jobchancen“, sagt Lehrerin Carmen Döring, die früher selbst hier Schülerin war.

Andere gehen anschließend an die Staatliche Modeschule Stuttgart. „Das Interesse an der Ausbildung hier ist groß“, betont Abteilungsleiterin Uschi Seltmann: „Auch wenn die Produktion im Ausland ist, die Kollektionen werden immer noch in Deutschland gemacht.“

Für die Modeschau scheuen die angehenden Modefachleute keine Mühen. „Wir haben keinen Stoff gefunden, der uns gefallen hat“, sagt Aline Röhm aus der zweiten Jahrgangsstufe. Also hätten sie ihn selbst am Computer entworfen und anschließend bedrucken lassen. Auf dem Bildschirm vor ihr erscheint ein filigranes Blumenmuster. „Das mussten wir alles per Hand am Computer nachzeichnen“, sagt Alines Mitschülerin Matilda Sündermann. Nie hätte sie gedacht, dass das so viel Arbeit wird.