Christine Brencher hat den Kerner Schafwanderweg mitinitiiert, auch um alte und seltene Rassen zu erhalten. Nun sucht sie weitere Helfer für das Projekt.
Die Brillenschafe haben heute keinen Bock. Zumindest ist keiner in ihrer Nähe. Das ist gut so. Denn mit einem männlichen Schaf ist nicht gut Kirschen essen, wenn er seine Damenriege und die Lämmer bewacht. Dann bekommen unerwünschte Eindringlinge eine Lektion in Sachen Dickschädel. Doch die Böcke sind fernab, Paarungszeit ist für sie erst im August und die Mutterschafe mit ihrem hellen Fell und den dunklen Ringen um die Augen liegen auf der Wiese im Schatten der Stettener Apfelbäume und machen es sich gemütlich.
Seltene Schafrassen im Fokus
Bis Christine Brencher bei ihnen vorbeischaut. „Hammel, Hammel!“, ruft die Landwirtin aus Kernen laut. „Ich könnte auch irgendetwas anderes rufen, die Schafe erkennen meine Stimme“, sagt die 48-Jährige. Auch dutzende Gesichter könnten sich Schafe merken. Kaum schallt das erste „Hammel!“ über die Wiese, springen die Auen und Zibben, wie die weiblichen Schafe auch genannt werden, auf und laufen schnurstracks zu ihrer Schäferin. Sie hat zur Feier des Tages trockene Brotwürfel mitgebracht. Die Leckerli sind eine willkommene Abwechslung zu Heu, Gras, Kräutern und Wurzeln.
Brencher krault die Tiere, zählt nebenbei durch, ob auch keines fehlt, und schaut, ob alle ihre Schützlinge wohlauf sind. „Wenn sich ein Tier von der Gruppe separiert, wenn es blutet, humpelt oder vielleicht Durchfall hat, dann sieht man schnell, dass etwas nicht stimmt.“ Heute stimmt alles. Auch der Weidenzaun ist intakt, die Batterien sind voll, und genug Wasser haben die Schafe auch in ihrem Trog. Alles bestens.
Das knappe Dutzend Brillenschafe ist nur ein Teil von insgesamt etwa 100 Tieren, die zum sogenannten Kerner Schafwanderweg gehören, den Christine Brencher mit ins Leben gerufen hat. Entlang einer Strecke von rund fünf Kilometern beweiden vier Schafgruppen etwa 5,5 Hektar private, gemeinde- und landeseigene Streuobstwiesen. Neben den Kärntner Brillenschafen kann man auf seiner Runde durch die Landschaft auch Rauhwollige Pommernschafe kennenlernen, das Braune Bergschaf bewundern und Waldschafe entdecken. Und auch die Krainer Steinschafe und Coburger Fuchsschafe sind mit von der Partie. Wenn sie nicht mit ihren Deckaufgaben in den jeweiligen Herden beschäftigt sind, gibt es auch noch zwei Gruppen mit Schafböcken.
Gelebter Umweltschutz
„Wir wollen vom Aussterben bedrohte Rassen erhalten, nachhaltig wirtschaften und dabei auch die Umwelt schützen“, sagt Brencher. Angefangen hatte sie mit zwei eigenen Schafgruppen im Jahr 2012. Zur Landesgartenschau 2019 wurde dann der Schafwanderweg initiiert, zu dem auch ein großer Stall gehört, in dem die Tiere über den Winter kommen und wo Heu sowie das nahrhaftere Emd (der zweite Schnitt) gelagert werden.
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer packen regelmäßig mit an und tragen dazu bei, dass auch das Projekt selbst nicht ausstirbt. „Aktuell sind wir ein gutes Dutzend Leute“, sagt Brencher. „Aber wir waren auch schon 25, und ich hoffe, dass wir wieder mehr werden als jetzt.“ Zu tun gibt es die unterschiedlichsten Dinge: vormittags die Zäune kontrollieren, die Schafe zählen und sich von ihrem Wohlbefinden überzeugen, immer wieder müssen Weiden auf- und abgebaut, Schafe umgeweidet sowie Weiden, Batteriestände und Zäune kontrolliert werden.
Auch im Winter braucht es Helfer
Im Winter müssten Schafe im Stall mit Heu und Wasser versorgt werden und alle paar Wochen gelte es, den Stall auszumisten. Nicht jeder muss alles machen. „Jeder Helfer und jede Helferin bringt sich mit seinen und ihren Fähigkeiten und der Zeit ein, die er oder sie aufbringen kann.“ Auf ihre Hündin „Lucky“, einen spanischen Podenco-Mix, kann Brencher beim Schafehüten leider nicht zählen. Die Hündin ist zwar lieb, hat aber den Wind in den Ohren und Flausen im Kopf.
Verabschieden musste sich die 48-Jährige auch von der Vorstellung, die Arbeit mit den Schafen durch die Hilfe von zwei Ponys und einem Gespann umweltfreundlicher zu gestalten. Über eine Sammelaktion kam zwar genug Geld zusammen, doch am Ende waren die Rahmenbedingungen nicht die richtigen und der Aufwand viel größer als erwartet. Zwischenzeitlich leben die beiden Ponys wieder auf einem Hof in Hessen und der Fokus in Kernen liegt voll auf den wolligen Herdentieren.
Wolle, Felle und Fleisch
Zur Schafhaltung gehört neben der Pflege übrigens auch die Verwertung. Wolle wird gesammelt und ab Hof verkauft, ebenso die Felle. Auch die Schlachtung und der Verkauf von Lämmern gehört dazu. „Man kann bei uns ein halbes oder ein ganzes Lamm bestellen, die Schlachtung übernimmt ein Lohnmetzger in Berglen“, erklärt die Schäferin. Unterm Strich komme man null auf null raus. Doch ums Geld geht es nicht. Vielmehr um Tier-, Natur- und Umweltschutz – und dieses Verständnis an die nächsten Generationen weiterzugeben. „Alle zwei Wochen kommen Schulklassen und Kindergartengruppen zu uns“, sagt die Landwirtin, deren Betrieb Teil des Projekts „Lernort Bauernhof“ ist.
Nicht nur Kinder würden sich für die Schafe begeistern, meint Christine Brenchers Ehemann. Auch Erwachsene könnten vom Kontakt mit den sanftmütigen und ruhigen Tieren profitieren, sagt er: „Eigentlich müssten sich gestresste Manager zum Helfen melden – die Schafe entschleunigen!“
Infos unter www.schafwanderweg.de