Al Barr (Zweiter von rechts, oben) und die Dropkick Murphys verbreiten die irische Kultur auf der ganzen Welt. Foto: promo

In Stuttgart spielten zwei Szenegrößen – Keltische Musik ist in aller Welt ein Erfolg.

Stuttgart - Hinter der Bühne in der Arena Ludwigsburg hängt ein fünf mal zehn Meter großes Banner. Ein Wappen ist darauf zu sehen. Es zeigt eine Gitarre, eine Frau, eine Flasche Alkohol und zwei zum Beten gefaltete Hände. Davor sitzen die Dropkick Murphys aus Boston. Ihre bisher größte Halle auf Tourstopp in Stuttgart bekommen sie diesmal zwar nicht ganz voll; dennoch ist das Publikum größer als bei ihrem vorangegangenen Auftritt im LKA – und bester Stimmung. Vor der Bühne hat sich ein breitkreuziger Mittdreißiger aufgestellt und wirft einen Fan nach dem anderen in die Menge: Crowdsurf-Service vom Feinsten.

Sackpfeife, Mandoline und Tin Whistle – die irisch-amerikanische Band begeistert auch nach 16 Jahren ihres Bestehens die Folk-Punk-Fans. Sie kombinieren die traditionellen Instrumente aus der Folk-Musik mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug aus dem Punkrock. Sie spielen Irish-Folk-Klassiker wie „The Wild Rover“ und eigene Punkrockkracher wie „Going Out In Style“. Sänger Al Barr erklärt: „Wir spielen beide Arten von Songs gerne, Hauptsache, wir können sie so umsetzen, dass sie rocken und gut rüberkommen.“ Im Publikum tanzen 60-Jährige im Rugby-Trikot der irischen Nationalmannschaft mit Jugendlichen mit bunten Irokesenfrisuren. Widersprüche, die sich anziehen – Elemente, die sich wunderbar ergänzen.

Traditionelle Instrumente

„Am Beginn unserer Karriere sagte man über uns, wir seien eine Mischung aus den Pogues und den Ramones“, sagt Barr. Die Londoner Band The Pogues, um den irischen Sänger Shane MacGowen, gilt als Begründer der Folk-Punk-Szene. Der hatte, genau wie der 2008 gestorbene Dubliners-Sänger Ronnie Drew, schon einen Gastauftritt bei einem Song der Dropkick Murphys. Man kennt sich in der Szene. Verzerrte Stromgitarren setzen die Pogues bis heute selten ein. Sie beschränken sich auf die traditionellen Instrumente und spielen klaren Irish Folk. Punk war dabei MacGowans Attitüde – und machte die Musikrichtung populär.

Micha Schmidt von der Konzertagentur Stuttgart Rock Promotion, erinnert sich: „Die Pogues haben einmal ein kostenloses Konzert auf der Königstraße gegeben. Am selben Tag fand in Stuttgart ein Neonazi-Aufmarsch statt. Als die Pogues davon erfuhren, beendeten sie ihr Konzert nach wenigen Liedern und schlossen sich einer linken Gegendemo an.“ Heute sind die Dropkick Murphys der Klassenprimus des Genres und haben den größten kommerziellen Erfolg. Sänger Al Barr: „Wir sind von Beginn an mit großer Leidenschaft dabei, das merken die Leute“, sagt er. „Durch den Spaß an Konzerten haben wir uns eine große Fanbasis aufgebaut.“

Irische Geschichte steht im Fokus

Barr ist der einzige Musiker bei den Dropkick Murphys, der keine irischen Wurzeln hat. Seine Mutter kommt aus Regensburg, er selbst hat die ersten drei Lebensjahre in Süddeutschland verbracht. „In den USA bin ich in der irischen Szene aufgewachsen“, sagt er. New England an der Nordostküste der USA ist die Region der irischen Einwanderer. Dass gerade eine Band aus Boston mit Folk-Punk Erfolg hat, liegt deshalb nahe. Warum sie mittlerweile auf der ganzen Welt beliebt ist? Al Barr hat eine simple Vermutung: „Die Iren haben eine schwierige Geschichte hinter sich. Manche trieben Hungersnöte aus dem Land, andere landeten auf Gefangenenschiffen, so haben sich die Iren in der ganzen Welt verbreitet – und mit ihnen ihre Kultur.“

Damit meint er vor allem die Musik, da die Iren sich mit ihrer Geschichte gerne in Liedern auseinandersetzen. Dennoch, sagt Al Barr, gehe es im Folk-Punk nicht um bestimmte Länder oder Kulturen: „In unseren Liedern setzen wir uns vielmehr mit Familie, Freundschaft, Loyalität und Liebe auseinander. Damit identifizieren sich unsere Fans.“

„In Kanada kennt uns kaum jemand“

Etwas weniger Zuschauer, aber eine kraftvollere Show haben The Real McKenzies, die einen Tag nach den Dropkick Murphys im Stuttgarter Landespavillon spielen. 200 Zuschauer sind zu den Kanadiern gekommen, die Folk-Punk mit schottischen Wurzeln spielen – natürlich im Schottenrock, dem Kilt. Sänger Paul McKenzie arbeitet zu Hause als Holzfäller, wenn er nicht durch die Welt tourt. „In Kanada kennt uns kaum jemand“, sagt er. Für ihn hängt das Phänomen der keltischen Punkmusik mit deren geschichtlichen Inhalten zusammen: „Schottische Folk-Musik ist uralte Rebellenmusik. Sie reicht Tausende Jahre in die Vergangenheit. Die harte Rebellion, die in den Liedern zum Ausdruck kommt, passt auch in die heutige Zeit.“

Deutschland sei ein gutes Pflaster für Folk-Punk. „Aber ob die Leute uns hören wollen oder nicht, hängt damit zusammen, ob es einen keltischen Einfluss in der jeweiligen Region gibt“, sagt McKenzie. Vor allem in Großbritannien komme die Musik gut an. Auch in der Bretagne oder in Galizien besuchen viele Gäste die Konzerte. In Deutschland kommen junge Bands nach, die sich am Folk-Punk versuchen. Rasga Rasga aus Nürtingen mischen südeuropäische Folk-Einflüsse mit Ska. Es muss nicht immer irisch oder schottisch sein. Auch die Dropkick Murphys sehen das so. Ihr Konzert in Ludwigsburg beginnen sie mit dem Folk-Song „The Irish Rover“. „Trotzdem sehen wir uns in erster Linie als amerikanische Punkband“, sagt Al Barr.