Mehr als 700 Jahre beherrschten die Kelten Mitteleuropa. Vom 7. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. waren sie auch im Südwesten Deutschlands die vorherrschende Bevölkerungsgruppe. Genetische Analysen an keltischen Grabhügeln geben Einblicke in enge Verwandtschaften und in die Machtstrukturen keltischer Eliten.
In den Dynastien der Kelten in Süddeutschland gingen Reichtum und Macht über die mütterliche Erblinie auf die nächste Generation über. Darauf weist die Verwandtschaft von einst in überaus prächtigen Grabhügeln bestatteten Verstorbenen hin. Eine solche, matrilineare Vererbung sei bereits für die Königswürde in Etrurien und dem antiken Rom im Europa der Eisenzeit dokumentiert, berichtet ein Forscherteam im Fachjournal „Nature Human Behaviour“.
Reiche Spuren aus keltischer Zeit
Gerade in Süddeutschland hinterließ die keltische Kultur aus der vorrömischen Eisenzeit reiche Spuren in Form von gewaltigen Grabhügeln und spektakulären archäologischen Artefakten wie Goldschmuck und kostbaren Bronzegefäßen.
So hatte etwa der Grabhügel Magdalenenberg bei Villingen einen Durchmesser von mehr als 100 Metern, wie einer der Hauptautoren, Stephan Schiffels vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig, erläutert.
Ein in Hochdorf gefundener Bronzekessel mit einem Fassungsvermögen von 500 Litern war demnach wohl ursprünglich zur Hälfte mit Met gefüllt. „Das waren unglaubliche Reichtümer“, betont Schiffels.
Erbgut aus Grabhügeln analysiert
Wie die keltische Gesellschaft funktionierte, ist allerdings in großen Teilen noch unklar – auch, ob Herrscher ihre Stellung durch persönliche Leistung oder durch Vererbung erwarben. Für mehr Details dazu untersuchte das Team um Schiffels und Dirk Krausse vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg in Esslingen nun Erbgut aus mehreren Grabhügeln.
Berücksichtigt wurden 31 Individuen aus hochrangigen und anderen Bestattungen von sieben Fundorten aus der Zeit zwischen 616 und 200 v. Chr.. Die Forscher machten unter den 20 Männern und 11 Frauen verwandtschaftliche Beziehungen aus, die sich über bis zu hundert Kilometer voneinander entfernte Elitegräber erstreckten.
Zwei Individuen aus zwei der reichsten Grabstätten waren eng verwandt – wahrscheinlich Onkel und Neffe mütterlicherseits. Es handelte sich um die Fürsten der Grabhügel von Eberdingen-Hochdorf und von Asperg-Grafenbühl, deren letzten Ruhestätten den Forschenden zufolge zu den reichsten prähistorischen Gräbern in Europa zählen.
Über die mütterliche Abstammungslinie verwandt
„Durch die recht genauen Sterbedaten, Schätzungen des Sterbealters sowie der genetischen Übereinstimmung zwischen beiden Fürsten kommt nur ein Szenario als Onkel und Neffe infrage. Die Schwester des Hochdorfer Fürsten war die Mutter des Asperger Fürsten“, erklärt Schiffels.
Zudem wurden in zwei etwa hundert Kilometer – und damit ungewöhnlich weit – voneinander entfernten Grabstätten Menschen gefunden, die wahrscheinlich ebenfalls über die mütterliche Linie verwandt waren. Möglicherweise handele es sich um Urgroßmutter und Urenkel, heißt es in der Studie.
Matrilineare dynastische Erbfolge
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass es in den keltischen Gesellschaften eine matrilineare dynastische Erbfolge gegeben haben könnte. Reichtum und Macht wurden also jeweils über die mütterliche Abstammungslinie vererbt, nicht wie häufig über die väterliche. Zudem seien die Elitefamilien vermutlich über ein weites geografisches Gebiet von der Iberischen Halbinsel bis nach Südwestdeutschland verbunden gewesen.
Typisch ist eine matrilineare Organisation dem Forschungsteam zufolge vor allem für Gesellschaften, in denen es viele außerpartnerschaftliche Techtelmechtel gab – und deshalb wenig Vertrauen in die Vaterschaft gesetzt werden konnte. Ein Mann sei unter solchen Umständen eher mit den Kindern seiner Schwestern genetisch eng verwandt als mit den Kindern seiner Frau.
Kulturgemeinschaft und keine Nation
Da die Kelten keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, sind Archäologen und Historiker auf Überlieferungen aus griechischer und römischer Zeit sowie auf Ausgrabungen angewiesen. Die Kelten waren kein einheitliches Volk oder eine Art europäische Ur-Nation, sondern lebten während der Eisenzeit in zahlreichen unabhängigen Stammesgruppen.
Die keltische Kulturgemeinschaft wurde durch eine eigene indogermanische Sprache, ähnliche materielle Kultur, Gebräuche, Glaubensvorstellungen und Lebensweise geprägt. Aus den bronzezeitlichen Kulturen Mitteleuropas bildeten sich die beiden klassischen keltischen Epochen der Hallstatt- (650-70 v. Chr.) und der La-Tène-Kultur (470-50 v. Chr.) heraus.
Die keltische Gesellschaft war weder zentral organisiert, noch gab es gemeinsame Könige. Neben Häuptlingen und Fürsten beherrschten Druiden als geistige und spirituelle Führer die einzelnen Stämme. Sie waren zugleich Priester und Mediziner, Lehrer und Richter.
Kelten im Südwesten
Vom 7. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. waren die Kelten im Südwesten Deutschlands die vorherrschende Bevölkerungsgruppe. Gerade in Baden-Württemberg ist die keltische Kultur ein Highlight. Es gibt Tausende Grabhügel und eine unglaublich reiche Fundlandschaft. Dazu kommen die Fürstensitze wie die Heuneburg nahe Herbertingen im Kreis Sigmaringen. Die Ansiedlung gilt als zentraler frühkeltischer Ort an der oberen Donau.
Im Lauf von 600 Jahren wurden auf den Plateaus von Hügeln und Anhöhen Fürstensitze errichtet, die wie die Heuneburg mit Mauern aus Holz und Erde befestigt waren. Später wurden sie durch eine Stein-Lehm-Mauer ersetzt. Zugleich entstanden große stadtähnliche Siedlungen. Die Außensiedlung der Heuneburg umfasste 100 Hektar und beherbergte einige Tausend Menschen.
Tollkühne Krieger, erfolgreiche Händler
Die Handelsbeziehungen der keltischen Stämme reichten bis in den Mittelmeerraum. Der Archäologe Jörg Bofinger vom Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen hat auf der Heuneburg zahlreiche Importstücke aus dem Süden ausgegraben - zum Beispiel Amphoren aus dem damals griechischen Marseille. Auch mit den Etruskern in Italien und mit griechischen Stadtstaaten führten die Kelten einen regen Handel.
Die keltischen Handwerker waren berühmt für ihre filigranen Schmuckarbeiten, ihre Textilien und eisernen Waffen. „Für Archäologen ist das gesamte Ensemble einer Ausgrabungsstätte wichtig und nicht nur das gefundene Gold. Aus ihm können wir viele neue Details erkennen.“
Fürstensitze, Grabhügel, Ringwälle
Neben der Heuneburg gab es Fürstensitze auf dem Hohenasperg und dem Berg Ipf nahe des Nördlinger Ries bei Bopfingen. Daneben entdeckten Archäologen weitere unzählige Fürstengräber und Grabhügel, Ringwälle und Hunderte Viereckschanzen – rechteckige Areale mit Wall und Graben, die auf eine Besiedlung schließen lassen – sowie Überreste von Ansiedlungen. Allein im Umkreis von zehn Kilometern um den Hohenasperg gab es nach Angaben von Biel rund 400 keltische Siedlungen.
Die Kelten besaßen ein hoch entwickeltes Wirtschaftsleben. Die aufgefundenen Gräber zeugen vom Reichtum ihrer Oberschicht. Die Stämme waren berühmt für ihre Metallarbeiten, Schmuckstücke aus Silber und Gold sowie ihre Waffenproduktion. Das Eisenerz bauten sie in bis zu 100 Meter tiefen Bergwerken ab.
Cäsar beendete die große Zeit der Kelten
An die Stelle der Fürstensitze traten ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. die sogenannten Oppida - große befestigte Siedlungen, die von bis zu 10 000 Menschen bewohnt wurden. Keltische Krieger drangen in dieser Zeit auf ihren Beutezügen bis weit nach Süden vor: 387 v. Chr. plünderten sie Rom, 279 v. Chr. belagerten sie das griechische Heiligtum Delphi. Sie kämpften als Söldner in den Kriegen Karthagos gegen die römische Republik und fochten für griechische Könige und Usurpatoren.
Mit der Eroberung Galliens durch den römischen Feldherrn Julius Cäsar 57 bis 53 v. Chr. endete die große Zeit der Kelten. Die keltische und römische Kultur verschmolzen, bis sie ab dem dritten und vierten Jahrhundert n. Chr. im Zuge der Völkerwanderung von germanischen Stämmen wie den Alemannen und Franken verdrängt wurde.