Mit seinen Bildern kämpfte Keith Haring auch gegen die Aids-Krise der achtziger Jahre. Foto: Keith Haring Foundation

Als Keith Haring 1978 nach New York kam, nahm kaum jemand seine Bilder ernst. Heute bringen sie Millionen – und gehören zur Alltagskultur. Die Doku „Keith Haring - Street Art Boy“ erzählt von Kunst, Geschäften, New York und der Aids-Krise.

New York - Hat er nun die Stadt wachgeküsst oder die Stadt ihn? Wahrscheinlich haben Keith Haring und die Stadt New York das Dornröschen-Märchen ins Zeitalter der Gleichberechtigung geholt und einander kreativ geschockt.

Als der junge Kunststudienabbrecher Haring, der im 5000-Seelenkaff Kutztown in Pennsylvania aufgewachsen war, 1978 nach New York kam, war die größte der US-Metropolen am Tiefpunkt: geprägt von Kriminalität und Verwahrlosung, die Politik korrupt, das Gemeinwesen auch finanztechnisch nur noch einen halben Atemzug vom Konkurs entfernt. Und doch brodelte hier immense Schaffenskraft.

Punk und Lebenslust

Harings heute für Millionenbeträge gehandelte, dynamische, wimmelige Konturmännchenbilder wurden von den Schnöseln des Kulturestablishments noch für banalen Wirrwarr gehalten. Aber in New York fand Haring das, was ihn zum Sonderling zu machen schien, auf Häuserflanken, U-Bahn-Zügen und Tunnelwänden wieder, eine vor Energie berstende, aus quälender Beengung heraus nach Bewegung lechzende neue Volkskunst der Armen, die illegalen Graffiti.

Dies ist eine der Geschichten, die Ben Anthonys Dokumentation „Keith Haring – Street Art Boy“ zumindest anreißt: wie New York dem sowieso schon schaffenskribbeligen Kutztown-Buben zusätzliche Energie und Inspiration gab. Und wie Haring eine Fröhlichkeit in die Stadt zurückholte, einen Optimismus, der die Unbekümmertheit von Punk mit purer, offenherziger Lust am Leben mischte.

Die Schwulenszene als Offenbarung

Auf sehr anregende Weise schwirren hier aber noch viele andere Themen umher. Die Clubkultur der Achtziger wird als bewusster Gegenentwurf zu High-Society-Vergnügungen hie und passivem Konsumentendasein da deutlich, die Schwulenszene New Yorks noch mal als Offenbarung für den Provinzler nachvollziehbar. Dass Harings Vitalität und Klasse zwar vom großen Kunstbetrieb noch immer nicht erkannt wird, wohl aber von Andy Warhol, dass der gerade noch Unbekannte nun Michael Jackson, Grace Jones und andere Promis als Kumpel hat, sorgt auch für böses Blut. Dabei wirkt er auf den Fotos doch unverstellt glücklich. Anthony tippt an, dass Harings Geschäftssinn manchen suspekt war – dabei brachte gerade diese fixe Vermarktung Kunst an Galerien und Museen vorbei zurück in den Alltag.

Als Haring von seiner Aids-Erkankung erfuhr, damals ein Todesurteil, malte er bis zu seinem Ende 1990 noch obsessiver als zuvor. Die Bilder wurden teils bedrückend ernst: Die Cartoonmännchen zeigten endgültig, dass sie nicht auf Nettes beschränkt sind.

Ausstrahlung: Freitag, 28. August 2020 um 21.45 Uhr; Sonntag, 6. September 2020 um 05.35 Uhr;

in der Mediathek des Senders vom 27. August 2020 bis 26. November 2020