In Baden-Württemberg leben 77 150 Menschen mit einer griechischen Staatsangehörigkeit – vielen blutet angesichts der desolaten Lage in ihrer alten Heimat das Herz Foto: dpa

In Baden-Württemberg leben 77 150 Menschen mit einer griechischen Staatsangehörigkeit. Vielen blutet angesichts der desolaten Lage in ihrer alten Heimat das Herz. Wohl die wenigsten werden am Referendum in der alten Heimat teilnehmen – es gibt keine Möglichkeit zur Briefwahl.

StuttgarT - Griechenland droht der Staatsbankrott, Banken sind geschlossen und Menschen verunsichert. Ob es zu einer Lösung der Griechenlandkrise kommt oder das Land womöglich aus der Euro-Zone austreten muss, ist noch offen. Viele Griechen in Baden-Württemberg machen sich um ihre Angehörigen im Heimatland Sorgen – und hoffen auf ein Ende der miserablen Stimmung.

Zahlreiche Griechen aus Stuttgart und der Region haben sich am Montag zur wöchentlichen Demonstration gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 gesellt. Vor dem Referendum in Griechenland am kommenden Sonntag forderten sie „ Solidarität mit dem griechischen Volk“ und wandten sich gegen die Politik von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, die sie als „Spardiktat“ verstehen. Zur Demonstration hatte die Initiative Neue Hellenische Gemeinde Stuttgart aufgerufen. „Wir sind eine überparteiliche, bunte Palette aller politischen Richtungen“, sagt Anna Ioannidou, Anwältin mit griechischen Wurzeln und Mitinitiatorin der Neuen Griechischen Gemeinde. „Wir waren alle sprachlos und entsetzt, dass die Verhandlungen zwischen der EU und der griechischen Regierung gescheitert sind, aber die meisten von uns waren froh, dass die griechische Regierung hart geblieben ist, und hoffen auf einen Neuanfang“, sagt sie.

Wohl die wenigsten der Demonstranten werden am Referendum teilnehmen. „Wer abstimmen will, muss nach Griechenland. Das ist mit Ausnahme der Europawahl auch bei den Parlamentswahlen so, denn es gibt keine Briefwahl“, erklärt die Juristin Anna Ioannidou. Früher hätten die großen Parteien, die der SPD nahe Pasok und die der CDU verwandte Nea Dimokratia, Billigflüge zu den Wahlen nach Griechenland organisiert: „Die Leute sind dann zum Abstimmen für rund 40 Euro hin und zurück geflogen. Das hat dann mit der Finanzkrise aufgehört.“

„Die Volksabstimmung findet am 5. Juli zwischen 8 Uhr morgens und 20 Uhr statt“, sagt Anastasia Pliagou, Presseattachée der griechischen Botschaft in Berlin, unserer Zeitung. Nach griechischem Recht müssten 40 Prozent der Wahlberechtigten daran teilnehmen, damit es Gültigkeit erlange. Prognosen dürften nach dem Wahlrecht jetzt eine Woche vor den Wahlen nicht veröffentlicht werden. In der vergangenen Woche hätten Umfragen 60 bis 70 Prozent Zustimmung zum Verbleib des Landes in der Europäischen Union ergeben. Das letzte Referendum gab es in Griechenland im Jahr 1974. Damals mussten sich die Bürger zwischen Republik und Monarchie entscheiden. Bei 75,8 Prozent Wahlbeteiligung sprachen sich 69,2 Prozent für die Republik und 30,8 Prozent für die Monarchie aus.

Die griechische Gemeinde in der Region Stuttgart gilt als die größte außerhalb Griechenlands. Viele dieser Auslandsgriechen unterstützen finanziell Angehörige daheim, die von ihren Gehältern und Renten nicht mehr leben können. „Früher konnte man ihnen höhere Beträge per Sepa-Überweisung schicken, das ist jetzt nicht mehr sinnvoll“, sagt die Anwältin. Der Grund: In Griechenland, sagt Anna Ioannidou, dürften die Bürger nur noch 60 Euro pro Tag abheben. Damit wolle die Regierung Kapitalflucht ins Ausland verhindern. Jetzt, vermutet sie, geschehe der Geld-Transfer von Deutschland nach Hellas gegen stattliche Gebühren über einen amerikanischen Dienstleister.

Von der 60-Euro-Regel nicht betroffen seien Touristen: „Sie dürfen nach wie vor Geld abheben, so viel sie wollen. Apropos Touristen: Die Krise hat bisher die Reiselust ins Land der Hellenen nicht gebremst. „Wir spüren bis jetzt noch keine Auswirkungen auf die Nachfrage, wir haben sogar noch Zuwächse gegenüber dem vergangenen Jahr. Wir wissen aber nicht, was noch kommt“, sagt ein Mitarbeiter von Tui Stuttgart, der namentlich nicht genannt werden will.

In Baden-Württemberg leben 77 150 Menschen mit einer griechischen Staatsangehörigkeit. Das geht aus Zahlen des Statistischen Landesamts in Stuttgart (Stand Ende 2014) hervor. Die Experten sortieren die Zahlen zur Staatsangehörigkeit nur nach Kreisen, nicht aber für einzelne Gemeinden. Demnach ist der Stadtkreis Stuttgart derjenige im Südwesten mit dem sowohl absolut als auch anteilsmäßig höchsten Anteil an Griechen: Hier lebten zum Stichtag 31. Dezember 2014 genau 13 994 Griechen. Das entspricht laut Behörde einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 2,3 Prozent.

Dem SPD-Landtagsabgeordneten Nikolaos Sakellariou, Sohn einer schwäbischen Kinderkrankenschwester und eines griechischen Fotografen, blutet angesichts der Lage in Griechenland das Herz. „Das Volk wird in Geiselhaft genommen für die parteipolitischen Spielchen der Regierung“, sagt er. Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hat ein Referendum für Sonntag angekündigt, in dem die Bürger über die von den Gläubigern geforderten Reformen abstimmen sollen. Er habe es auf das Referendum angelegt und die Verhandlungen in Brüssel bewusst platzen lassen. Sakellariou glaubt aber, dass die Griechen mehrheitlich in der Euro-Zone verbleiben wollten.