So soll der Neubau für den Maßregelvollzug in Schwäbisch Hall aussehen. Foto: Arcass Planungsgesellschaft mbH/Klinikum am Weissenhof

Baden-Württembergs Sozialministerium schafft in Schwäbisch Hall unter Hochdruck zusätzliche Plätze für süchtige Straftäter.

Der Spatenstich am 4. April soll einen Wendepunkt markieren. Mit dem Neubau einer Klinik für 100 Plätze im Maßregelvollzug neben der bereits bestehenden Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Hall mit 440 Inhaftierten will das baden-württembergische Sozialministerium die „Drucksituation“ (Minister Manfred Lucha, Grüne) mittelfristig meistern.

Im Eiltempo wurde das Neubauprojekt durchgeboxt: Februar 2022 Start Projektplanung, Mai 2022 Bürgerinfo-Veranstaltung, Juli 2022 Zustimmung Gemeinderat Schwäbisch Hall, Oktober 2022 Einreichung Bauantrag, April 2023 Beginn Aushubarbeiten. Anfang 2025 soll die forensische Klinik, die mit 115 Millionen Euro doppelt so viel kostet wie ursprünglich angenommen, in Betrieb gehen. Anfang März hat zudem der Gemeinderat von Winnenden dem Neubau einer entsprechenden Klinik mit rund 70 Plätzen zugestimmt. Die Fertigstellung wird noch einige Jahre dauern, weil zunächst ein Ersatzbau errichtet werden muss. Ein weiterer Neubau mit 50 Plätzen ist am Standort Calw in Arbeit, mit der Fertigstellung wird Mitte nächsten Jahres gerechnet. In Summe wird das Land 332 Millionen Euro in Einrichtungen für den Maßregelvollzug investieren.

Die Einrichtungen platzen aus den Nähten

Das Ministerium steht unter Druck, denn die Einrichtungen in Baden-Württemberg platzen aus den Nähten. Lucha macht für die Situation die Rechtsprechung verantwortlich, weil immer mehr suchtkranke Straftäter eingewiesen werden. 1444 Straffällige sind derzeit in den acht forensischen Kliniken des Landes untergebracht, das entspricht einer Steigerung um 40 Prozent seit 2018. Die Belegungsquote liegt seit Jahren über 100 Prozent. Die Folge: 34 Personen mussten im Jahr 2022 (35 im Jahr 2021) entlassen werden, weil Fristen abgelaufen waren und es keine Kapazitäten gab. Derzeit befinden sich 67 Personen in sogenannter Organisationshaft. Wird für diese nicht rechtzeitig ein Platz im Maßregelvollzug geschaffen, müssen sie ebenfalls entlassen werden.

Nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches werden Straftäter, die wegen einer Suchtkrankheit straffällig geworden sind oder während der Tat unter Alkohol- oder Drogeneinfluss standen, in einer forensischen Klinik untergebracht, wenn konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. „Der Paragraf ist beliebt bei Strafverteidigern“, bestätigt Marten Neumann, Psychologe am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, „der Auslegungsspielraum ist groß.“ Möglicherweise sei der „Halbstrafenrabatt“ ein Anreiz. Soll heißen: Im Maßregelvollzug ist eine Bewährungsstrafe möglich, wenn die Hälfte der verhängten Haftstrafe verbüßt wurde, in einer Justizvollzugsanstalt erst nach drei Viertel.

Der umstrittene Paragraf soll reformiert werden

Dass besagter Paragraf einer Reform bedarf, ist unbestritten. Im November 2021 hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einen diesbezüglichen Vorschlag vorgelegt. Nicht das Begehen einer Straftat im Rausch dürfe Kriterium für die Anwendung des Paragrafen sein, erklärt Neumann die Zielrichtung, die Tat müsse mit der „substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung“ zusammenhängen. Eine „konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg“ sei kein Kriterium; dies müsse während der Behandlung geprüft werden. Die Ampelkoalition und die Linke-Abgeordneten hatten den auf dem Vorschlag der Arbeitsgruppe basierenden Gesetzentwurf der Fraktion CDU/CSU zunächst abgelehnt. Jetzt kündigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) an, die Reform könne spätestens zum 1. Oktober in Kraft treten.

Bis die neuen Kliniken in Calw, Schwäbisch Hall und Winnenden den Betrieb aufnehmen, will Landessozialminister Manfred Lucha das ehemalige Frauengefängnis Fauler Pelz in Heidelberg als Übergangslösung nutzen. Die Stadt wehrt sich gegen die Pläne und hat vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe auch Teilerfolge erzielt. Der aktuelle Sachstand laut Sozialministerium: „Derzeit finden vertrauliche Gespräche zwischen der Stadt Heidelberg und dem Land statt mit dem Ziel, einen Vergleich zu erreichen.“ Was sich das Land die Zustimmung der Stadt kosten lassen muss, ist offenbar noch nicht ausgemacht.