Ungarns Premier Victor Orban gibt sich volksnah und hat die Wahlen deutlich gewonnen. Doch die EU macht sich Sorgen um die Demokratie in den Land und hat nun reagiert. Foto: AFP/FERENC ISZA

Die EU-Kommission will Budapest viele Milliarden an Subventionen kürzen, weil zu viel Geld in dunklen Kanälen versickert.

Ungarn sieht sich natürlich zu Unrecht am Pranger. Die EU-Kommission mache einen „Fehler“, schimpfte Kanzleramtsminister Gergely Gulyas in Richtung Brüssel. Grund für seinen Zorn ist die Ankündigung, dass sich sein Land wegen möglicher Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien einem Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln stellen muss. Gulyas wittert eine Art Verschwörung der EU-Kommission, die „grundlegenden Regeln der Demokratie“ missachte und lediglich „die Bedürfnisse der bei der Wahl geschlagenen ungarischen Linken“ befriedige. Die Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban vereinte bei der Abstimmung am Sonntag 53 Prozent der Stimmen auf sich. Kritiker fragen allerdings, welche Aussagekraft eine Wahl hat, die zwar frei, aber offensichtlich nicht fair verlaufen sei.

Ungarns Demokratie ist in Gefahr

Dabei geht es im Fall der aktuellen Strafmaßnahmen gegen Budapest vordergründig gar nicht um die Demokratie. „Bei Ungarn, wir haben uns sehr klar ausgedrückt, ist das Problem Korruption“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagabend. Die EU blockiert aus diesem Grund bereits die Auszahlung von Hilfsgeldern aus dem Corona-Fonds. In einem Länderbericht der EU-Kommission heißt es, dass auch Zahlungen aus Brüssel versickern und vor allem in jene Wirtschaftszweige fließen, die eine enge Bindung zur die Fidesz-Regierung aufweisen. Zwar gebe es einen unabhängigen Kontrollmechanismus, doch der bleibe „für das Aufspüren von Korruption unzureichend“, lautet die Kritik.

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Die offensichtlich grassierende Korruption ist allerdings nur der Auswuchs einer Entwicklung, die Brüssel wesentlich mehr Sorge bereitet. Denn Victor Orban arbeitet seit Jahren daran, die Demokratie in Ungarn auszuhöhlen. Einmal im Amt des Premiers, begann er die zentralen unabhängigen Institutionen zu demontieren. Eines der ersten Opfer war das Verfassungsgericht. Die dortigen Richter hätten den Regierungschef im Rahmen der geltenden demokratischen Verfassungen zur Rechenschaft ziehen können. Durch das Ausschalten dieser Instanz wurde auch der Widerstand der ordentlichen Gerichte gebrochen. Die Unabhängigkeit der Justiz, einst in Ungarn ein hohes Gut, gehörte der Vergangenheit an.

Die Demokratie wird in Ungarn demontiert

Der Angriff auf die nationale Justiz war mit großem Bedacht gesetzt, und hat zwei Gründe. Zum einen ist es praktisch unmöglich, ohne funktionierende Gerichte autokratisch agierenden Politikern mit rechtlichen Mitteln zu begegnen. Zum anderen wird der Einfluss von außen – in diesem Fall der Europäischen Union – verhindert. Denn die Gerichte der Mitgliedsstaaten sind die Institutionen, die dem EU-Recht in der gesamten Union Geltung verschaffen sollen. Wenn die Justiz behindert wird, kann sie auch die einheitliche Einhaltung des EU-Rechts nicht mehr garantieren. Das ist der Grund, weshalb in Brüssel die Entwicklung in Ungarn mit besonders großer Sorge beobachtet wird.

Diese autoritären Entwicklungen lösen im Fall von Ungarn besondere Ratlosigkeit aus. Der Freiheitswille der Bevölkerung und der Kampf für die Demokratie war einst ein leuchtendes Vorbild für viele andere Länder. Ungarn spielte beim Fall der Mauer eine maßgebliche Rolle und entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einer Art osteuropäischer Vorzeigedemokratie. Doch dann geriet das offensichtlich fest verankerte System ins Wanken und die verfassungsmäßige Ordnung hat längst bedrohliche Risse.

Ungarn braucht das Geld aus Brüssel

Die Reaktionen aus Budapest auf die nun drohende Kürzung der EU-Milliarden, sind deshalb so heftig, weil die Regierenden auf das Geld angewiesen sind. Victor Orban überzog die Union während des Wahlkampfes zwar unablässig mit Spott, doch bei seinen großzügigen Versprechen an seine Anhänger hatte er die Mittel aus Brüssel fest eingeplant. Das könnte für ihn nun zum großen Problem werden.

Bei der EU wird der Schritt der Kommission begrüßt, allerdings gibt es auch Kritik. „Es ist absolut richtig, dass Ursula von der Leyen Sanktionen für die massiven Rechtsstaatsverstöße der Orban-Regierung auf den Weg bringt“, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Zugleich bemängelte er jedoch: „Für Ungarns Demokratie könnte es aber schon zu spät sein.“ Die EU-Kommission habe den richtigen Zeitpunkt für ein konsequentes Vorgehen gegen Orban um Jahre verpasst.