OP-Team bei der Arbeit: Strikte Hygiene ist Pflicht Foto: dpa

Diskutieren Sie mit! Patienten können sich nirgendwo darüber informieren, ob eine Klinik ihrer Wahl ein Hygieneprobleme hat. Das ist ein Skandal, sagt Patientenschützer Wolf-Dietrich Trenner im Interview.

Stuttgart - Herr Trenner, wo steht Deutschland im Kampf gegen Infektionen mit resistenten Erregern, die Patienten in Krankenhäusern erleiden?

Das kann niemand genau sagen. Zu den Fallzahlen gibt es nur Schätzungen. Von 400 000 bis zu 600 000 Fällen pro Jahr ist offiziell die Rede und von bis zu 15 000 Todesfällen. Andere Schätzungen gehen deutlich darüber hinaus.

Warum gibt es nur Schätzungen, aber keine verlässlichen Zahlen?

Es gibt keine nationale Statistik über Infektionen in einzelnen Kliniken. Auf freiwilliger Basis können die Krankenhäuser Fälle an ein Nationales Referenzzentrum (NRZ) melden. Die Meldung erfolgt aber anonym. Als Patient kann ich mich dort nicht gezielt über eine bestimmte Klinik informieren und herausfinden, ob es dort Hygieneprobleme gibt.

Was ist mit den Qualitätsberichten, die jede Klinik vorlegen muss? Helfen die weiter?

Leider nicht, und das kann man nur als Skandal bezeichnen. Für Laien sind die Berichte völlig unverständlich. Sie bilden zudem nur einen Bruchteil der stationären Behandlungen ab. Dafür hat die Kliniklobby im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gesorgt, das ist das höchste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen. Solange die Krankenhausgesellschaften dort mit darüber entscheiden können, welche Daten zur Qualitätssicherung in Sachen Klinikinfektionen wie veröffentlicht werden, wird sich daran auch nichts ändern.

Was kann man als Patient, der vor einer OP steht, tun? Macht es Sinn, sich vorher beispielsweise auf MRSA-Erreger testen zu lassen, auf eigene Kosten?

Das klingt zunächst überzeugend. Mich überzeugt das aber nicht. Wenn sie als Patient den negativen Befund bei der Aufnahme vorlegen, signalisieren sie dem Krankenhaus, dass sie sich schon einmal auf einen Prozess vorbereiten. Stellen sie sich vor, wie die im Krankenhaus das finden. Das macht den Umgang miteinander nicht einfacher und die Behandlung nicht unbedingt besser. Abgesehen davon beunruhigen sie sich als Patient ja auch selbst. Vor einer OP kann das niemand gebrauchen. Außerdem lehne ich es ab, dass nun die Patienten selbst die Aufgabe übernehmen sollen, die eigentlich dem Krankenhaus obliegt und bezahlt wird.

Was würden Sie persönlich tun?

Ich würde nur ins Krankenhaus gehen, wenn es wirklich unumgänglich notwendig ist. Deshalb sollte man den zuständigen Arzt immer fragen, ob er sich dem Eingriff, um den es geht, ebenfalls unterziehen würde. Oder ob er seiner Frau dazu raten würde. Wenn er eine ehrliche Antwort gibt, würden viele große Eingriffe am Rücken oder am Knie gar nicht stattfinden. Das sagen alle Experten.

Sehen Sie eine Gefahr vor allem bei großen Eingriffen?

Die Gefahr, sich mit einem resistenten Erreger zu infizieren, ist bei jeder Behandlung gegeben. Vielleicht ist sie auf der Intensivstation etwas größer wegen der zentralen Venenkatheter, die ja eine Haupteintrittspforte für Erreger darstellen. Aber infizieren kann man sich überall. Wir haben heute einen enorm reduzierten und in der Regel ausgegliederten Reinigungsdienst in den Kliniken. Am Wochenende ist da fast niemand mehr mit einem Wischmob. Und wenn doch jemand kommt, wird ums Bett herumgewischt und viel ausgelassen. Es gibt auf allen Stationen zu wenige Kräfte für zu wenig Geld zum Saubermachen.

Was können Kliniken tun – vom besseren Reinigen einmal abgesehen?

Sie können zum Beispiel dafür sorgen, dass die Wartezeiten bei großen Knochen-OPs geringer werden. Wer mit einer gebrochenen Hüfte oder einer Oberschenkelhalsfraktur in die Klinik kommt, muss 24, 48 oder sogar 72 Stunden auf die OP warten. Wenn sie freitags kommen, warten sie wahrscheinlich nicht nur bis Montag, denn der OP-Plan für Montag ist ja schon fertig. Es wird also Dienstag. Das ist nicht gesund, man kann sich einen Keim einfangen, und das wissen auch alle Experten.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Eine einfache Maßnahme wäre zum Beispiel, dass Klinik A die ungeraden Wochenenden übernimmt und Klinik B die geraden. Ein verantwortlicher Klinikarzt hat mir hinter vorgehaltener Hand einmal gesagt, der Geschäftsführer glaube aber immer, dass am anderen Wochenende mehr los ist.

Wie wichtig ist die Ausbildung des Pflegepersonals?

Die ist sehr wichtig. Nehmen sie das Beispiel Frühchen. Der G-BA hat vor Jahren vorgeschrieben, dass für jede Frühgeburt unter 1500 Gramm eine speziell ausgebildete Pflegefachkraft zur Verfügung stehen muss. Aber das ist auf Druck der Kliniklobby sofort wieder verwässert worden. Sie hat durchgesetzt, dass fünf Jahre Pflegeerfahrung übergangsweise genauso viel gelten wie eine Spezialausbildung. Inzwischen heißt es, dass eine Betreuung eins zu eins mit speziellen Fachkräften gar nicht möglich ist.

Warum nicht?

Obwohl das Thema seit 2004 auf dem Tisch ist, sind nicht genügend Fachkräfte für die Frühchen ausgebildet worden. Die Kliniken haben die Pflegekräfte schlicht nicht freigestellt für die Zusatzausbildung. Das hätte natürlich unter Fortzahlung des Gehalts geschehen müssen. Aus eigener Kraft kann eine Krankenschwester das nicht tragen.

Und nun?

Seit mehr als zehn Jahren gibt es keine ausreichende Fortbildung. Nun beklagen sich alle beim Gesundheitsministerium, dass es kein Fachpersonal für Frühchen gibt. Aus der Muss-Vorschrift des G-BA wird eine Soll-Vorschrift, und dann wird noch an den Mindestmengen nach unten geschraubt, also an der Zahl der Frühchen, die mindestens behandelt werden müssen. Am Ende ist die Vorschrift so gut wie wertlos. Für Frühchen unter 1500 Gramm gilt die Regelung einer Eins-zu-Eins-Betreuung durch spezielle Fachkräfte zwar immer noch. Aber für Frühchen darüber gibt es gar keine Mindestanforderung. Auf deren Kosten werden jetzt die leichteren Frühchen behandelt. Beim nächsten Fall einer Reiheninfektion von Frühchen mit Keimen irgendwo in Deutschland ist das Geschrei sicher wieder groß.