Etwas Streusalz sollte immer im Haus sein – zur Not tut es auch normales Kochsalz aus der Küche. Foto: dpa/Jan Woitas

Bei Blitzeis und Schnee wird die schwäbische Kehrwoche zur besonderen Herausforderung. Wer räumt, hängt vom Mietvertrag ab – und die Stuttgarter Regeln haben es in sich: Werktags muss man vor 7 Uhr auf der Matte stehen.

Die Kehrwoche ist bekanntlich ein heißes Eisen in Stuttgart und in weiten Teilen Baden-Württembergs. Mehr denn je gilt das bei Schnee und Glatteis – so auch am Mittwochmorgen mit zeitweise extremen Situationen durch gefrierenden Regen.

 

Aber wer ist in solchen Fällen für eine rechtzeitige Räumung verantwortlich – Eigentümer oder Mieter? „Das hängt vom Mietvertrag und der Hausordnung ab“, heißt es beim Deutschen Mieterbund in Stuttgart. Grundsätzlich gebe es zwei Situationen. Entweder der Vermieter hat seine Räumpflichten rechtswirksam an den Mieter abgeschoben – häufig über Standardverträge so geregelt.

Die Kehrwoche beinhaltet auch Räumpflichten. /Rudel

Räumpflicht für Mieter oder Hausmeister?

Oder der Vermieter hat in der Eigentümergemeinschaft den Räum- und Streudienst an einen Dienstleister übertragen, wofür die Mieter dann über die Nebenkosten finanziell aufzukommen haben. In diesem Fall sind sie vertraglich meist ganz vom Winterdienst freizustellen und müssen auch nicht für Unfälle von Fußgängern auf dem Grundstück oder dem angrenzenden öffentlichen Gehweg haften.

Letzteres komme gerade Berufstätigen und älteren Menschen entgegen, meint Jens Rüggeberg vom Deutschen Mieterbund. Es gebe aber auch Bewohner, die nicht so gerne die höheren Kosten zahlen und lieber selbst Hand anlegen würden. Die Wahl hat man aber nicht, denn die Vorgaben kommen naturgemäß von der Eigentümergemeinschaft und müssen dann umgesetzt werden. „Den Leuten ist das in aller Regel bewusst“, so Rüggeberg.


Kuriose Räumzeiten in Stuttgart

Etwas Kurios und durchaus spezifisch für Stuttgart sind indes die Räumzeiten: Unter der Woche muss bis 7 Uhr geräumt sein, samstags bis 8 Uhr und sonntags bis 9 Uhr. Tagsüber muss bis 21 Uhr nachgearbeitet werden, falls es schneit oder glatt wird. Nachts gibt es dagegen keine Räumpflicht. Hier sind die Kommunen und Bundesländer frei in der Gestaltung der Zeitfenster.

Die strikten Regeln können für ältere Menschen oder im Urlaub problematisch sein. „Ein 90-Jähriger muss jemanden mit dem Winterdienst beauftragen, wenn er körperlich nicht mehr dazu in der Lage ist“, erklärt Jens Rüggeberg. In anderen Bundesländern habe die Rechtsprechung eine Räumpflicht in Härtefällen wie bei körperlicher Behinderung auch schon einmal verneint, nicht aber „im Land der Kehrwoche“.

Streusalz-Verbot in Stuttgart

Übrigens ist die Verwendung von Streusalz in Stuttgart laut städtischer Satzung aus Umweltschutzgründen normalerweise verboten – bei Blitzeis dagegen sogar angezeigt und erforderlich. Möglicherweise ein gewisser Widerspruch, der mit zu den Problemen am Mittwoch beigetragen hat. Unter einigermaßen normalen Bedingungen mit etwas Schnee und Eis sind im Prinzip nur Materialien wie Split und Sand zulässig. Nicht alle Häuser dürften das klassische Streusalz daher überhaupt noch vorrätig haben. Im Notfall kann man aber auch normales Haushaltssalz verwenden.

Bußgeld oder Höhere Gewalt bei Blitzeis?

Kann man bei Blitzeis von höherer Gewalt ausgehen und sich damit um seine Haftung drücken? „Nein“, heißt es beim Mieterbund. Man müsse zumindest einen Räumversuch unternehmen. Nur wenn dieser praktisch unmöglich sei, könnte die Situation möglicherweise anders bewertet werden. Bei Nachlässigkeit oder Pflichtverletzung drohen Bußgelder bis zu 500 Euro wegen Ordnungswidrigkeit. So ist es in einer Satzung der Stadt Stuttgart geregelt.

Bei Glatteisbildung besteht sofortige Streupflicht. Je nach Witterungsverhältnissen muss im Laufe des Tages auch mehrmals gefegt und gestreut werden. Ist wegen anhaltenden Schneefalls eine Beseitigung sinnlos, kann laut Mieterbund die Räumpflicht entfallen.

Wer muss Schnee und Eis räumen? Foto: www.imago-images.de/IMAGO

„Schneekarte“ an den Nachbarn weitergeben

Viel Verantwortung also für eine Person, die gerade Kehrwoche hat – und womöglich mit den Gepflogenheiten in Deutschland und speziell im Schwabenland gar nicht vertraut ist.

Zusätzlich zur wöchentlichen oder monatlichen Kehrwoche mit Treppenhausreinigung gibt es übrigens in manchen Mietshäusern noch eine so genannte „Schneekarte“. Das funktioniert so: Der Bewohner, der an einem Tag geräumt hat, darf die Karte abends an den nächsten weitergeben. Das setzt allerdings eine intakte Hausgemeinschaft voraus und könnte bei einem Unfall rechtliche Fragen aufwerfen.

Eine große Rolle haben Fußgänger-Blessuren wegen Missachtung der Räumpflicht in der schneearmen Landeshauptstadt in den letzten Jahren aber wohl nicht gespielt. Jens Rüggeberg vom Deutschen Mieterbund ist in über drei Jahrzehnten Berufstätigkeit jedenfalls noch kein einziger Fall untergekommen. Nun könnten es in der Region Stuttgart nach nur einem Tag Blitzeis womöglich gleich mehrere Dutzend sein.

Schmerzensgeld und Schadensersatz

Adressaten für Bußgelder oder Schmerzensgeldforderungen sind laut Mieterbund zunächst die Verpflichteten, also Mieter oder Eigentümergemeinschaft. Auch Schadensersatzforderungen für medizinische Behandlungen oder Verdienstausfall sind denkbar, zumal sich auch Versicherungsjuristen auf solche Fälle verstehen.

Wenn es eine Hausverwaltung oder einen Dienstleister gibt, können diese je nach Umständen möglicherweise in Regress genommen werden. In der Regel kommt dann eine Haftpflichtversicherung für den Schaden auf – außer bei grober Fahrlässigkeit oder gar bösartigem Mutwillen.

Ist die schwäbische Kehrwoche noch zeitgemäß? Foto: ZGS/Christian Günther

Räumpflicht in Stuttgart – aber keine „Nothilfe“

Ist bei der Stadt Stuttgart eine Übersicht über mögliche Stürze oder Zwischenfälle mit der Räumpflicht vorhanden? „Die Anzahl der Meldungen ist stark witterungsabhängig. So waren es 2023 nur 102 Meldungen im Jahr 2020 hingegen 654 Meldungen. Der Durchschnitt liegt bei rund 290 Meldungen im Jahr. Eine Aufsplittung zwischen Reinigungsverpflichtung und Winterdienst erfolgt bei dieser statistischen Erfassung nicht“, teilt das Rathaus mit.

Vom städtischen Straßenräumdienst ist allerdings auch in Extremsituationen keine „Nothilfe“ auf den Bürgersteigen zu erwarten. Man sei mit der Betreuung der Flächen in eigener Zuständigkeit voll und ganz ausgelastet, heißt es.

Kehrwoche auch auf dem Bürgersteig?

Die wöchentliche Kehrwoche galt in Stuttgart bis 1988. Der Gehweg musste damals verpflichtend einmal in der Woche gereinigt werden. Das wurde dann in eine Reinigung nach Bedarf abgeändert, etwa bei Verschmutzung durch Laub, Unrat und Littering. Die Räum- und Streupflicht besteht allerdings unabhängig von der Reinigung.