Im Reich der wilden Tiere: Katy Perry bei der Eröffnungsnummer ihrer Prism-Tournee, mit der sie am Freitag in Berlin zu Gast war. Foto: Getty Images

Wenn Jeff Koons eine Barbiepuppe erfinden würde, sähe sie aus wie Katy Perry. Am Freitag feierten 15 000 Fans in Berlin das Finale der Deutschlandtour des US-Superstars. Wer jedoch glaubt, dieser Popzirkus sei bloß dafür da, Teenies zum Kreischen zu bringen, unterschätzt Katy Perry gewaltig.

Berlin - Irgendwann schleicht sich tatsächlich doch so etwas wie Wahrhaftigkeit in diese bonbonbunte Kunstwelt hinein. Irgendwann verliert Katy Perry tatsächlich einmal die Geduld mit den Fans, die noch lauter kreischen als die Bässe in dieser Show dröhnen. „Quiet You!“, brüllt sie, ruhig jetzt, dann versucht sie es auf Deutsch „Nein!“ und schließlich seufzt sie: „I’m so tired of this game“ – ich habe dieses Spiel so satt. Auf einmal ist sie nicht mehr diese quietschvergnügte kalifornische Pippi Langstrumpf, die zu allen Streichen bereit ist, sondern das Fräulein Prusseliese, das zu wissen glaubt, wann der Spaß aufzuhören hat.

Es ist der Moment, in dem sie wie bei jeder Show einen Fan für ein Selfie auf die Bühne holt. Sie sucht sich einen jungen Mann aus Dresden aus, der sich Jessica nennt und sich als Katy Perry verkleidet hat. Die Sängerin gibt sich beeindruckt: „Es ist nicht leicht, ich zu sein. Das weiß ich nur allzu gut.“

Mehr Zirkusspektakel als Popkonzert

Es ist eine kurze Verschnaufpause in einer ansonsten ruhelosen Show, die eher einem Zirkusspektakel oder einer Kindergeburtstagsparty als einem Popkonzert ähnelt. Achtmal verwandelt sich Katy Perry in den zwei Stunden – und mit ihr die Bühne. Mal verirrt sie sich neonfarbig in martialische Stammesrituale, mal landet sie im alten Ägypten, mal schnurrt sie zufrieden in einem Katzenparadies, das sie sich aus dem Musical „Cats“ geklaut hat, mal durchtanzt sie die wunderbare Warenwelt des 21. Jahrhunderts. Einzige Konstante in diesen Kulissen- und Kostümwechseln ist der stampfende Dancepopbeat, ohne den kaum eine der Katy-Perry-Hitmelodien auskommt.

Berliner Teeniemädchen haben es trotzdem nicht leicht an diesem Freitagabend. Während hier in der O2 World am Ostbahnhof Katy Perry auftritt, lassen sich am Potsdamer Platz im Sony Center gerade die Stars des neuen „Divergent“-Films feiern. Hier wie dort wird eifrig gekreischt. Und hier wie dort werden den Teenies weibliche Vorbilder vorgeführt, die sexy, aber auch ziemlich tough sind.

Katy Perry steht für diesen neuen Spaß-Feminismus, die Mädchen-holen-sich-was-sie-wollen-Mentalität, eine neue Generation von Riot-Grrrl-Pop, zu der auch Miley Cyrus gehört. Oder Charli XCX, die im Vorprogramm mit Hits wie „I Love It“ und vor allem „Break The Rules“ den aufmüpfigen Ton vorgeben durfte: „I don’t wanna go to school / I just wanna break the rules“: Ich will nicht zur Schule gehen, sondern nur alle Regeln brechen.

Überkandidelt und raffiniert naiv

Ganz so plump schmeißt sich Katy Perry, die vor ein paar Monaten 30 geworden ist, bei dem 125. Konzert ihrer Welttournee dann allerdings nicht an die Generation Schulhof heran. Sie weiß zwar, was sie den Teeniemädchen schuldig ist, erzählt in ihrer Show natürlich immer auch ein bisschen die Cinderella-Story von der Pastorentochter aus Santa Barbara, die einfach nur berühmt werden wollte und es am Ende auch wird. Gleichzeitig inszeniert sie sich so überkandidelt, so raffiniert naiv, dass man sich auch als Erwachsener über dieses Reizüberflutungstheater amüsieren kann.

Katy Perrys Kostüme, die Perücken und die Bühnendeko sehen so aus, als seien sie von Jeff Koons entworfen, machen den Kitsch in seiner grotesken Übersteigerung zum künstlerischen Stilmittel. Im Angebot sind zum Beispiel riesige Sonnenschirme und Schmetterlinge, Smiley-BHs, Tierkostüme, aufblasbare Cabriolets, Sektflaschen, Lippenstifte und Sandwiches.

Die Bühnenshow übersetzt damit letztlich wortwörtlich die grelle, plakative Prosa der Songs, findet Bilder für die Bubblegum-Ästhetik des Disco-Hip-Hop-Pop-Gemischs. Etwa wenn Perry bei der Power-Ballade „Walking On Air“ von Schnüren gehalten und von einer Miniwolke begleitet durch die Halle schwebt. In „Kissed A Girl“ müssen sich Tänzer als sehr dicke, sehr kurvenreiche Frauen verkleiden, während die Band sogar ein bisschen so tun darf, als ob das hier um Rock’n’Roll ginge. Dass hier aber längst nicht alles live ist, was live klingt, wird spätestens klar, wenn bei „E.T.“ der rappende Kanye West vom Band eingespielt wird.

Zum Finale dreht sie auf

Bei der zweistündigen Show, die brüllend beginnt („Roar“) und feurig endet („Fireworks“) gibt es aber auch Platz für Aerobiceinlagen auf dem Laufband, das ein Teil der riesigen Bühne darstellt, die dreieckig weit hinein in die Halle reicht. Und sogar für einen kleinen akustischen Set. Bei „By The Grace Of God“ singt Katy Perry zum Klavier. Bei „The One That Got Away“ übernimmt sie selbst an einer glitzernden Akustikgitarre die Begleitung.

Zum Finale dreht die Show aber noch einmal richtig auf. Mit „Teenage Dreams“, „California Gurls“, mit „Birthday“ und mit „Last Friday Night“ – einer Nummer, in der Katy Perry wieder ganz diese kalifornische Pippi Langstrumpf ist und von jener Freitagnacht schwärmt, als auf den Tischen getanzt, viel getrunken und wohl auch geküsst wurde.

Doch gilt das auch für diese Freitagnacht in Berlin? Bevor Katy Perry den Dresdner Jungen, der sich Jessica nennt, von der Bühne lässt, fragt sie ihn, ob er einen coolen Club kennt, in dem man nach dem Konzert noch Spaß haben kann. Als er verneint, schüttelt sie den Kopf. Und einen Moment lang scheint sie wirklich resignieren zu wollen: „Ist schon okay, ich wollte nachher sowieso ins Hotel gehen und beten“.