Baden-Württembergs Sozialministerin Katrin Altpeter Foto: dpa

SozialministerinKatrin Altpeter glaubt, dass die Betreuung im Alter deutlich teurer wird.

Stuttgart - Pflegedienste – das sind in den meisten Familien noch immer die Töchter und Schwiegertöchter. Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) erklärt, warum das auf Dauer nicht mehr funktioniert.

Frau Ministerin, die Bundesregierung, aber auch Ihre Partei wollen das Pflegegesetz reformieren. Warum ist das notwendig?
Die Reform der Pflegeversicherung ist notwendig, weil sich unsere Gesellschaft verändert. Die Menschen werden immer älter, und es gibt immer mehr Demenzkranke. Wir müssen deshalb zunächst den Begriff neu definieren, wer überhaupt pflegebedürftig ist.

Gelten Demenzkranke nicht als pflegebedürftig?
Pflegebedürftigkeit wird bisher nur an körperlichen Einschränkungen festgemacht. Deshalb werden die besonderen Bedürfnisse demenzkranker Menschen nur sehr unzureichend berücksichtigt, vor allem im Blick auf deren besonderen Betreuungsbedarf.

Wenn Demenzkranke ebenfalls finanzielle Leistung erhalten, kostet das aber mehr Geld.
Das ist die zwangsläufige Folge. Ich sage ganz klar: Pflege wird teurer. Das müssen wir den Menschen ehrlicherweise sagen.

Woher soll das Geld kommen?
Es gibt dafür mehrere Möglichkeiten. Eine davon ist die Einbeziehung der privaten Pflegeversicherungen, die über hohe Rücklagen verfügen. Es wäre ein erster Schritt, die private und die gesetzliche Pflegeversicherung zusammenzuführen, dann gäbe es mehr Geld in der Kasse. In einem zweiten Schritt müssten wir die Pflegeversicherung weiterentwickeln zu einer Bürgerversicherung, in die alle einbezahlen, also auch Beamte und Selbstständige.

Es gibt auch den Vorschlag, Gutverdiener höher zu belasten ...
... indem man die Beitragsbemessungsgrenze erhöht. Diese Grenze des Bruttoeinkommens, bis zu der Beiträge erhoben werden, liegt bei der Kranken- und Pflegeversicherung zurzeit bei 3712,50 Euro. Die Erhöhung wäre in der Tat auch eine Möglichkeit, um mehr Geld in die Pflegekasse zu bekommen. Ich halte andere Finanzierungsinstrumente derzeit aber für wichtiger.

Wie stehen Sie zur Forderung aus der CDU, einen Kapitalstock einzurichten, um einen Teil der Pflegekosten daraus zu bezahlen?
Ich lehne das ab, weil es dazu führt, dass unsere Generation doppelt bezahlen muss: einmal in die Pflegeversicherung und andererseits in einen Kapitalstock. Zumal der Kapitalstock in diesem Fall so klein wäre, dass die Zinserträge von den Verwaltungskosten aufgefressen würden.

Worauf legen Sie bei der Reform der Pflegeversicherung außerdem Wert?
Wir brauchen noch bessere Angebote im Umfeld der häuslichen Pflege. Jeder will doch im Alter so lange wie möglich zu Hause wohnen und dort versorgt werden. Die SPD legt in ihrem Konzept deshalb großen Wert auf die Tagesbetreuung. Als zusätzliches Angebot neben der Tagespflege. Das bedeutet mehr Unterstützung im Alltag.

Die wird bisher nicht von der Pflegeversicherung getragen?
So ist es. Bisher zahlt die Pflegeversicherung für die ambulante Pflege zu Hause weniger als für die stationäre Pflege im Heim. Auch da sehe ich Änderungsbedarf.

"Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden"

Eines der größten Probleme ist der Mangel an Pflegekräften. Haben Sie darauf eine Antwort?
Die Bezahlung der Pflegekräfte muss bundespolitisch angegangen werden. Darüber hinaus muss es uns hier im Land gelingen, über den Stellenwert der Pflege und auch der Pflegeberufe eine gesellschaftliche Diskussion zu führen. Nur so können wir erreichen, dass sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und nach einer Pause vielleicht wieder einsteigen. Ganz wichtig ist mir dabei auch der Zugang über das Freiwillige Soziale Jahr. Wir wissen, dass die Hälfte derjenigen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen, sich für einen sozialen Beruf entscheiden. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir bei dieser Möglichkeit bleiben und sie ausbauen.

Was halten Sie davon, Pflegekräfte im Ausland anzuwerben?
Wir sollten zunächst alle unsere Ressourcen ausschöpfen, bevor wir verstärkt im Ausland Pflegekräfte anwerben. Ich halte es für wichtig, dass Pflegebedürftige und Pflegekräfte miteinander sprachlich klarkommen.

Schon jetzt arbeiten ja viele Pflegekräfte aus Polen oder Rumänien bei uns. Ist das in Ordnung?
Wenn die Pflegekraft aus Polen legal hier beschäftigt ist, ist das völlig in Ordnung. Es gibt aber eine große Grauzone mit vielen illegalen Pflegekräften, die teilweise 24 Stunden arbeiten und dafür monatlich 400 Euro erhalten. Dazu sage ich ganz deutlich: Es sind meist nicht die ärmeren Leute, die solche Pflegekräfte illegal beschäftigen. Familien mit weniger Geld pflegen nämlich meist selbst.

Ist das Geiz?
Ich glaube, viele müssen noch lernen, dass es Pflege nicht umsonst gibt. Jeder hat ein Recht auf gute Pflege. Deshalb werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wir einen Teil unserer Ersparnisse für die Pflege verwenden.

Verdienen Pflegekräfte zu wenig?
Pflegekräfte müssen besser bezahlt werden. Aber auch das muss halt refinanziert werden.

Mangelt es an Aufstiegschancen? Es gibt ja die Forderung, die Ausbildung stärker zur Hochschule zu verlagern.
Eine Akademisierung wird nicht dazu führen, dass wir plötzlich deutlich mehr Menschen haben, die sich für Pflegeberufe interessieren. Es muss zwar die Möglichkeit eines Hochschulstudiums geben, aber es muss nicht jede Pflegekraft einen Hochschulabschluss haben. Damit würden wir ja den Zugang zu dem Beruf für viele mit mittlerem Bildungsabschluss versperren. Uns muss es jedenfalls gelingen, noch mehr für dieses Berufsbild zu werben.

Bei den Pflegedienstleistungen gibt es mittlerweile einen lebhaften Markt. Läuft das alles nach Ihren Vorstellungen?
Unsere ambulanten Dienste sind gut aufgestellt. Jeder Pflegebedürftige oder Angehörige hat mittlerweile eine gute Auswahl an Pflegediensten. Bedarf gibt es allerdings noch auf dem Feld der haushaltsnahen Dienstleistungen. Sehen Sie: Heute sind Familien die Pflegedienste der Nation, in der Regel sind Töchter und Schwiegertöchter eingespannt. Fast zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden noch zu Hause versorgt. In Zukunft wird das aber nicht mehr in diesem Ausmaß möglich sein, denn die Menschen werden mobiler, die Kinder leben oft nicht mehr am Ort. Deshalb muss das Angebot an ambulanter Unterstützung noch deutlich besser werden.